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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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sind. »Ich gehe in das Spukhaus, und ich gehe heute. Selbst wenn es Leute frisst und mich in kleine Stücke kaut und bis in die Dreispringerstraße wieder ausspuckt.«
    Die Bande nimmt diesen hübschen Gedanken in sich auf. Henry kichert entzückt. Doch jetzt bedauert Henrietta, dass sie so etwas laut ausgesprochen hat. Albin und Max sehen Henrietta mit respektvollem Schweigen, beinahe traurig an.
    Henrietta erinnert sich an einen Western, den sie mal in Sundstroms Filmtheater gesehen hat. Eine Gruppe Siedler flieht vor blutdürstigen Rothäuten, und als es so aussieht, als könnten sie nicht entkommen, sagt einer von ihnen mit gezwungener Sorglosigkeit: Reitet nur weiter, ich werde bleiben und die Indianer aufhalten und hinterher nachkommen.
    »Biste sicher, dass es dich wieder ausspuckt?«, fragt Max dann, und der feierliche Moment ist vorüber. »Und wenn es dich nun runterschluckt und keine lebende Seele dich je wiedersieht?«
    »Vielen Dank, Max«, sagt Henrietta. »Daran hätte ich gar nicht gedacht.«
    »Halt den Mund, Max«, brummt Albin, und Henrietta meint in seinem Gesicht tiefe Sorge zu erkennen, ja sogar Angst.
    Aber das kann nicht sein. Niemals.
    Unter den Kindern der Raketenfabrikstraße sind Mutproben ein heiliger Brauch: Es besteht die feierliche Erklärung, dass niemand volles Mitglied der Bande werden kann, wenn er nicht eine Großtat vollbracht hat, die von den anderen anerkannt wird, und damit gezeigt hat, dass er als Kamerad Respekt und Vertrauen verdient und kein nutzloser Bibberjan und Feigling ist. Irgendwann im Frühsommer entdeckt Albin diesen Brauch in einem Abenteuerbuch für Jungen, das er auf dem Speicher gefunden hat, und in dem Buch gibt es eine ähnliche Bande wie ihre, und auf seine eigene charismatische Weise beschließt er, der Erste zu sein, der die Mutprobe nach dem neuen Brauch unternimmt.
    Die anderen schlagen vor, Würmer zu essen und aus Pfützen zu trinken und dem Metzger die Scheibe einzuwerfen und andere kindische, wenig mutige Sachen, aber Albin hat etwas anderes im Kopf: Er will dem verrückten Wachhund des Metzgers einen Knochen wegnehmen, dem Hund, den alle Kinder in der Straße stets mehr gefürchtet haben als den Tod. Offiziell heißt der Hund ganz harmlos Otto, aber Satan, wie die Kinder ihn nennen, ist ein viel treffenderer Name für ihn.
    Albin sagt, er wird Satan trotzen, und das tut er dann und stellt mit seinem Beispiel eine große Verpflichtung auf, die die anderen erfüllen müssen. Keiner von ihnen wird je vergessen, wie Albin knapp dem Tod entrinnt und aus dem Hof herauskommt, der von dem mächtigen Schäferhund bewohnt wird, und über dem Kopf den stinkenden Knochen schwingt, als wär’s die größte Beute aller Zeiten.
    Der Nächste, der mit der Mutprobe dran ist und die große Verpflichtung erfüllen muss, ist Max. Max möchte seinen großen Mut gern beweisen, indem er einen Regenwurm oder eine Raupe isst, aber die anderen lehnen ab – Max isst sowieso lauter Krabbelzeug. Vielleicht könnte Max stattdessen das verdorbene Fleisch aus dem Metzgereiabfall essen, schlägt Henry vor – nur als Witz, wie er später beteuert, nachdem es eine Zeit lang so aussieht, als ginge es Max reichlich schlecht, und die Leute schon anfangen, nach einem Schuldigen zu suchen.
    Ob Witz oder nicht, Max greift zu aller Ekel und Schrecken die Idee auf und will auch nichts mehr davon hören, etwas weniger Krankmachendes als Mutprobe zu tun, da er doch ein so erfahrener Esser von widerlichen Dingen ist.
    Max schafft es nicht, den ganzen Ertrag des Metzgereiabfalls zu essen, nur die ersten beiden kiloschweren, nach Aas stinkenden Brocken (nachdem er ein paar tausend Fliegen weggejagt hat). Im Hinblick darauf, dass Max vor Magenschmerzen in Ohnmacht fällt und kurze Zeit in den Klauen einer Lebensmittelvergiftung vor dem Himmelstor steht, wird seine Leistung nach kurzer Besprechung einstimmig angenommen.
    Das Grundstück gehört der Familie des Fabrikbesitzers. Es heißt, er plane dort den Bau eines neuen, prächtigen Hauses für seine Familie, die gegenwärtig in einem Appartementhaus im Süden der Stadt wohnt; es wurden schon Arbeiter dafür gesucht, sagt Max, dessen Vater Zimmermann ist – oder jedenfalls war, bevor er für die Fabrik angeworben wurde. Wie jemand auf einem Grundstück, wo es spukt, etwas bauen kann, ist eine andere Frage. Albin sagt, es könnte eine gute Idee sein, ein neues Haus von derselben Größe, das genauso aussieht wie das Spukhaus, zu bauen,

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