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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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Bewegung, und kurz sieht es so aus, als wolle er sie umarmen oder vielleicht, o Himmel, sogar küssen. Aber er wünscht ihr nur ziemlich lahm viel Glück.
    Henry versucht sich spöttisch zu geben, doch da bricht ein ängstliches, vielleicht sogar ein wenig respektvolles Grinsen durch. Henrietta bemerkt, dass Max nicht einmal hinzusehen wagt. Er will faules Fleisch essen und zappelnde Würmer, aber das da ist zu viel für ihn. Max pfeift falsche Töne und blickt sehnsüchtig nach dem anderen Ende der Raketenfabrikstraße hin, wo auch in diesem Moment sämtliche Eltern Feuerwerkskörper herstellen.
    Henrietta nimmt ihren Rock hoch und klettert über den Zaun in den Garten.
    Sie meint einen überraschend kühlen Luftzug in der stehenden Hitze zu spüren. Hat sie nicht eben etwas Großes, Weißes schimmern sehen, kommt das Haus vielleicht schon? Erst jetzt fällt ihr auf, wie spät es schon ist – hier herrscht Dämmerlicht, und es dunkelt mit heimtückischer Schnelligkeit. Bald wird das Tageslicht in die Deckung der dunklen Bäume und Sträucher und in den wurmigen Gartenboden gesaugt werden und nur wieder herauskommen, wenn die umherschleichende Nacht das Schleichen leid geworden und an ihren Ursprungsort, die Rückseite des Mondes, zurückgekehrt ist.
    Sie wirft einen raschen Blick zur Bande hin, sucht Ermutigung in Albins gedankenvollen Augen und beginnt, sich vom Zaun zu entfernen und auf das noch unsichtbare Haus zuzulaufen.
    Wieder blitzt es weiß um sie auf; eine Kälte beißt ihr schmerzhaft in den schlanken Leib und besonders in das schmerzende Bein. Sie blinzelt, und das Haus ist da, groß und weiß und sehr wirklich: sie sieht sogar die Unebenheiten im Maueranstrich. Henrietta hält den Atem an, als sich die Proportionen verzerren und die Farben eine dunstige Fremdartigkeit annehmen. Bäume strecken sich einem gräulichen, rissig-körnigen Himmel entgegen, und obwohl Henrietta so schnell ihre Beine es erlauben auf das Haus zuläuft, scheint es sich mit jedem Schritt von ihr wegzubewegen.
    Henrietta wimmert ängstlich, jetzt versteht sie, warum Henry sich geweigert hat, über seine Mutprobe irgendetwas zu erzählen. All das ist unmöglich zu begreifen, man kann es sich selbst nicht erklären, geschweige denn, dass man es in Worte fassen und andere teilhaben lassen kann wie an einer Tüte Bonbons. Henrietta fühlt sich schwindelig, schwach, zittrig. Hände und Füße sind kalt, der Winter kriecht durch das schlimme Bein in Henriettas schlaksigen Körper.
    Der Weg ist lang, länger, als man sich vom Zaun aus je vorgestellt hätte, aber dann kommt sie endlich schwer keuchend bei dem Haus an; es erhebt sich vor ihr bis an die Wolken, und sie bleibt stehen und schaut an der Außenwand hoch.
    Da ist eine Gestalt im Fenster, wie eine mächtige Gottheit oder vielleicht auch – wenn Henrietta die Augen richtig anstrengt – wie ein junges Mädchen.
    Das Mädchen (sofern es wirklich eins ist) schaut aus dem Fenster des Spukhauses und wartet. Auf etwas Bestimmtes. Ihr Warten ist beinahe etwas Greifbares, mehr ein spürbarer Gegenstand, so etwas wie ein Schaukelstuhl oder eine Jahreszeit oder ein Werktag und nicht nur ein persönlicher innerer Zustand. Das Warten beherrscht den Garten und die ganze Umgebung, es durchdringt die kleinsten Teilchen und erhebt sich hoch über die Straße und beherrscht von dort aus alles, gerade wie der allmächtige Gott Vater persönlich.
    Henrietta könnte umkehren und fliehen, das täte sie gern, aber etwas Absonderliches in ihr zwingt sie weiterzugehen.
    Sie muss die dunkle Steintreppe hinaufjapsen, und ihr Herz tickt wie ein irrer Wecker, der jederzeit anfangen kann zu klingeln, sodass das ganze Haus wach wird und hungrig gähnt und entzückt den kleinen Eindringling bemerkt. Sie schlüpft durch die Haustür, die nur angelehnt ist, und bleibt stehen und schaut in die unermesslich gähnende Halle.
    Jetzt ist sie drinnen in dem Spukhaus.
    Sie hat den Geist gesehen, der es bewohnt, ein blasses statuenhaftes Mädchen, das aus dem Fenster schaut. Henrietta versteht gar nichts, aber sie hat alles gesehen, und sie könnte nun gehen, ihre Mutprobe hat sie längst zehnmal bestanden. Sie spürt, dass sie gehen sollte, schnell wegrennen und ohne zu zögern, jetzt, solange es noch möglich ist.
    Aber sie geht nicht, noch nicht. Die Neugier, dieselbe, die bekanntlich der Tod der Katze ist, sitzt dreist auf ihrer Schulter und verführt sie, noch ein Weilchen zu bleiben und sich noch ein bisschen

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