Eine Trillion Euro
seiner runzeligen Haut.
»Ich bin Zonenbewohner, meine Schöne. Wenn mein Chip erlischt, sind die Eurobullen innerhalb von drei Minuten hier.«
Steff lachte auf.
»Die Bullen? Die haben weiß Gott anderes zu tun. Also, raus mit der Sprache. Wo ist der Zaster?«
Er schlug seine rote Steppdecke zurück und enthüllte seine nackten und behaarten Beine. Sie waren so dünn, dass sie ihn mit Sicherheit nicht tragen würden. Spinnenbeine.
»Wenn ich es dir nicht sage, bringst du mich um. Wenn du mich aber umbringst, erfährst du nie, wo ich es versteckt habe.«
Sein Ton, provozierend, ironisch, ließ Steff ausflippen. Krachend hieb sie ihm den Kolben ihrer Waffe auf den Nasenrücken. Er quiekte auf und schlug die Hände vor das Gesicht. Seine Augen tränten, zwischen den Fingern quoll Blut hervor. In diesem Augenblick verstand ich, dass sie ihn für jede einzelne Stunde bezahlen ließ – vielleicht sogar für Nächte? Steff war eine ganze Woche lang nicht zum Ostbahnhof gekommen, und sie hatte nie ein Wort darüber verloren, warum nicht. Sie schlug ein zweites Mal zu, dieses Mal auf den Schädel. Der Knochen krachte dumpf. Der Alte kippte auf sein Bett zurück wie ein nasser Sack. Das fast schwarze Rot seines Blutes vermischte sich mit dem Rot der Steppdecke. Stöhnend stieß er abgehackte Sätze hervor.
»Diese Schweine, sie haben alles kaputt gemacht … Spekulanten … Börsenheinis … Sie haben den Euro auf dem Gewissen … Dollüan, dass ich nicht lache! Dollar und Yüan, die absoluten Gegensätze … Sie haben unser gutes, altes Europa in die Zange genommen … Wir haben zu lange auf unseren Reichtümern und unserer Sicherheit geschlafen … Europa ist daran krepiert. Es ist tot … Und ihr, ihr kleinen Aasgeier! Keinen … keinen Euro sollt ihr kriegen, nicht einen einzigen … Nie … niemals …«
Ein unheimliches Gurgeln entrang sich seiner Kehle, gefolgt von einem pfeifenden Ausatmen. Dann bewegte er sich nicht mehr. Wir standen eine ganze Weile reglos, ehe Steff sein Kinn mit dem Lauf ihrer Knarre anhob.
»Der Blödmann ist tot. Hab wohl ein bisschen fest zugeschlagen. Scheiße, jetzt müssen wir die ganze Bude auf den Kopf stellen.«
»Und wenn die Bullen kommen?«
Sie zuckte die Schultern.
»Manchmal muss man ein gewisses Risiko in Kauf nehmen, Pibe.«
»Hast du wenigstens eine Ahnung, wo er den Zaster versteckt haben könnte?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Aber du hast alles getan, was er von dir verlangt hat, richtig?«
Ihre Augen verschleierten sich. Sie betrachtete die Leiche und biss sich dabei auf die Unterlippe.
»Er ist … er war alt, Pibe, er wollte mich nur … naja, eben angucken. Und ein bisschen rumfummeln. Er kann … er konnte nicht mehr … du weißt schon.«
Wir beschlossen, nach allem zu suchen, was auch nur im Geringsten wie eine Safetür aussah. Nachdem wir ungefähr drei Stunden lang Möbel, Zeitungen und Bücherstapel gerückt und Tonnen von Staub eingeatmet hatten, fiel mir plötzlich ein Satz des Alten ein.
Wir haben zu lange auf unseren Reichtümern geschlafen …
Ich raste sofort in sein Zimmer, gefolgt von Steffs Flüchen und ihren hastigen Schritten, stieß mein Messer in die Matratze, machte einen langen Schnitt und klappte die Ränder auseinander. Als ich die ersten Geldbündel entdeckte, sprang ich vor Freude fast in die Luft.
»Er hat drauf geschlafen! Du bist super, Pibe. Das hätte ich mir wirklich denken können.«
Steff fiel mir um den Hals und küsste mich auf die Wange. Dann stieß sie die Leiche beiseite. Ohne einen Laut sackten die sterblichen Überreste des Alten in die Lücke zwischen Bett und Wand.
Eine Trillion ist eine ganze Menge Zeug, selbst in Eine-Million-Euro-Scheinen. Wir stopften alles in vier große Säcke, die wir im Wohnzimmer gefunden hatten, voll mit Klamotten und Papierkram, den wir einfach ausgeleert hatten. Merkwürdigerweise ging unserer Euphorie ziemlich schnell die Luft aus. Wir erlebten gerade den Traum eines jeden ZL, nämlich einen solchen Haufen Knete in die Hände zu bekommen, dass er einem das Tor zu einem neuen Leben öffnen konnte. Aber dazu würden wir die Säcke erst einmal zum Versteck des Hehlers schleppen müssen, unsere Dollüans in Empfang nehmen, uns ungesehen aus der Stadt verdrücken und eines der Länder erreichen müssen, wo Freiheit nicht nur ein Wort im Lexikon war.
Wir kamen nicht sehr weit. Am Fuß der Treppe blendete uns ein Scheinwerferstrahl. Wie versteinert blieben wir stehen.
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