Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
Vom Netzwerk:
Im Finstern erahnten wir schemenhafte Gestalten, auf den Fliesen quietschten Sohlen. Draußen hatte es zu nieseln begonnen. Der Regen hüllte den Hof des Hauses in einen düsteren Schleier.
    »Prima Tipp, findest du nicht, Steff? Und wie du siehst, brauchst du dich nicht einmal zu mir zu bemühen. Mir war von Anfang an klar, dass du eine ganz Schlaue bist. Ich hätte es nie fertig gebracht, dem alten Knacker die Informationen aus der Nase zu ziehen. Aber jetzt hast du genug gearbeitet. Gib mir das Zeug, ich kümmere mich um die weitere Verwertung.«
    Die Drohung in der tiefen, sehr ruhigen Stimme verursachte mir eine Gänsehaut. Steff stellte ihre beiden Säcke ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.
    »Hast du meine Dollüans?«
    Ich sah zwar fast nichts, aber zweifellos waren nicht nur Blicke auf uns gerichtet.
    »Erst wenn ich gezählt habe. Das kann allerdings einen Augenblick dauern.«
    Sie nickte. Die Geste wirkte resigniert, aber ich konnte die bodenlose Angst in ihren Augen erkennen.
    »Eins kann ich dir aber schon sagen: das Papierzeugs da ist kaum was wert. Zehn, vielleicht fünfzehntausend Dollüans, wenn wir Glück haben.«
    Zehn- bis fünfzehntausend? Das klang zwar weniger beeindruckend als eine Trillion, aber man konnte es sich wenigstens vorstellen. Und es reichte dicke für eine Reise in ein Land ohne eingepflanzten Chip.
    »Willst du mich verarschen?«, zischte Steff. »Für weniger als eine Million Dollüans rücke ich den Zaster auf keinen Fall raus.«
    »Du kriegst genau den Preis, den wir abgemacht haben, kleine Nutte. Glaub ja nicht, bloß weil wir mal miteinander gevögelt haben …«
    Steff tauchte unter dem Scheinwerferstrahl ab.
    »Hau ab, Pibe!«
    Ein Schuss peitschte, ein greller Blitz zerriss die Dunkelheit, und ich hörte das weiche Geräusch einer Kugel, die in Fleisch eindrang. Der Lichtkegel schwankte und streifte über Wände, Treppenstufen und zersprungene Fliesen. Noch mehr Schüsse, die Nacht füllte sich mit dem gewalttätigen Geruch verbrannten Pulvers. Gelähmt vor Angst duckte ich mich hinter meinen beiden Säcken eng an eine Wand. Steff schoss weiter, blieb in Bewegung. Andere Lichtkegel versuchten, sie einzufangen, aber sie entwischte ihnen jedes Mal mit einer Rolle vorwärts, einem geschickt geschlagenen Haken, einer Pirouette.
    »Hau ab, Pibe!«
    Ihre Stimme riss mich aus der Betäubung. Um mich herum pfiffen Kugeln. Ich nutzte einen kurzen Moment der Ruhe, um unter die Treppe zu gleiten. Ich ließ mich gegen eine Tür fallen, die krachend aufsprang.
    »Der Kleine! Er macht sich vom Acker!«
    Auf dem Hosenboden rutschte ich eine Treppenleiter hinunter und landete wie ein zappelnder Käfer in Rückenlage auf feuchtem Boden. Die beiden Säcke immer noch fest umklammert, rappelte ich mich auf und rannte einfach los, vor Schmerz und Angst unfähig zu irgendeinem Gedanken. Ich rannte durch mehrere aneinander gereihte Keller. Die Schüsse und Schreie wurden allmählich schwächer. Ich flitzte durch eine Art Tunnel, kletterte eine Treppe hoch und stand mitten in einem halb zerfallenen Gebäude. Ich versuchte gar nicht erst, herauszufinden, wo ich war, sondern rannte in die erstbeste Gasse, wo ich über die Beine eines Ghlaach-Junkies stolperte. Ich hörte erst auf zu rennen, nachdem ich in wahnwitziger Geschwindigkeit mindestens zehn Straßenzüge hinter mich gebracht hatte. Dann wurde mir klar, dass ich Steff im Stich gelassen hatte, sie allein gelassen hatte mit einer Bande von Mördern, und meine Beine gaben unter mir nach. Ich sackte auf dem Randstein in mich zusammen und ließ, von Gewissensbissen zermartert, meinen Tränen freien Lauf.
    Majoub schätzte, dass eine halbe Trillion Euros ungefähr hunderttausend Dollüans wert waren. »Die Eine-Million-Euro-Scheine kamen auf den Markt, weil die Währung einen ungeheuren Wertverlust erlebte. Wir Zonenlosen sind die Nachkommen Millionen armer Teufel, die nach der großen Krise in den Vierzigerjahren völlig ruiniert waren. Und in einer von wirtschaftlichen Erwägungen regierten Welt hat jemand, der nicht konsumieren kann, keine Existenzberechtigung …«
    Steff kam nie zum Ostbahnhof zurück. Sie hatte zweifellos eine Kugel in den Kopf oder ins Herz bekommen, aber ich hatte nie den Mut, mir Gewissheit darüber zu verschaffen. Ich besorgte mir eine Knarre, die ich tibetanischen Flüchtlingen abkaufte. Sie kostete mich zehn Millionen Euro. Diese Typen kaufen und verkaufen, sie handeln mit allem, was sie kriegen

Weitere Kostenlose Bücher