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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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Umgebung ein wenig kennenzulernen. Kinder flüchteten heulend vor ihrem Anblick, andere verhöhnten sie kühn über eine Mauer hinweg. Gladys ging trotzdem mutig weiter, doch da lasen zwei Frauen Lehmklumpen von der Straße auf und warfen sie nach ihr. Nun kehrte sie doch schnell um und erzählte Frau Lawson, was geschehen war.
    »Das ist immer so, wenn ich ausgehe«, sagte Frau Lawson ungerührt. »Wenn ich nach Hause komme, bin ich meistens von Kopf bis Fuß verdreckt von dem Schmutz und Lehm, mit dem sie mich bombardierten. Steine haben sie bis jetzt noch nicht genommen, Gott sei Dank. Sie hassen uns. Sie nennen uns Lao-yang-kwei, fremde Teufel. Daran müssen Sie sich gewöhnen.«

4. Kapitel

    Johanna Lawson war nicht viel größer als Gladys, vierundsiebzig Jahre alt und zart von Gestalt. Aber ihr Äußeres täuschte. Ihr schlohweißes Wuschelhaar war für die Chinesen etwas ganz Ungewöhnliches, und jedermann in Yang Cheng war überzeugt, daß sie nicht nur ein fremder Teufel, sondern ein böser Geist sein mußte, was noch sehr viel schlimmer war. Dieses Haar ließ die Leute vor Angst erstarren, wohin sie auch ging. Aber das machte Frau Lawson nicht das geringste aus. Sie war schon als ganz junges Mädchen nach China gekommen und hatte hier einen Missionar geheiratet. Den ältesten Sohn nahm ihr das Schwarze Fieber; ihre anderen Kinder hatte sie sorgfältig erzogen, dann waren sie in die Welt hinausgegangen; ihr Mann war schon vor vielen Jahren gestorben.
    Sie war Schottin. Ihre Ahnen hatten jahrhundertelang ihre Berge gegen die englischen Eroberer verteidigt. Von diesem Kampfgeist lebte noch viel in ihrem Blut. Sie hätte am liebsten das Wort Gottes, wie John Knox, der Reformator — ihr fanatischer Landsmann —, allen Ungläubigen ins Gesicht geschleudert. Leidenschaftlich schlug ihr Herz für den Herrn. Ach was, das zahme Christentum in den Ebenen! Das war nichts für sie! Bibelkreise, Handarbeiten und Verteilung von Aspirin!
    Viel dringender war es, hier in den Bergen den Heiden das Licht Gottes zu bringen! Und sie widmete sich dieser Aufgabe mit der ganzen Kraft ihrer starken Seele. Sie stöberte die Menschen auf in ihren Felsennestern und Berglöchern; und die, bei denen sie Gehör fand, lehrte sie das Evangelium mit aller Inbrunst, deren sie fähig war; die hartnäckigen aber, die zögernden, hätte sie am liebsten an ihren langen schwarzen Zöpfen in die Kirche gezerrt und ihnen das Wort Gottes in die Ohren gedonnert. So war Johanna Lawson. — Liefen ihr auch höhnend die frechen chinesischen Rangen in Scharen nach, sobald sie sich auf die Straße wagte, spuckten auch die Frauen aus und verriegelten ihre Türen, warfen die Männer Schmutz nach ihr — nun, so war das auf die rechte, christliche Weise zu ertragen. Einmal würde sich trotzdem der Kontakt zwischen ihnen und ihr schließen. Eine Christin, die den Kampf noch freudiger bejahte als Hanna Lawson aus den Bergen von Schansi, war wohl kaum zu finden. Die arme Gladys brauchte in den ersten Wochen ihre ganze Kraft, um den Mut nicht zu verlieren. Mit nur fünf Schilling in der Tasche, durch Kontinente von der Heimat getrennt, in einem Land, wo sie kein Wort verstand, angespuckt und geschmäht, wenn sie nur das Haus verließ — sie kam oft in Tränen zurück, um sich den Schmutz aus den Kleidern zu waschen! Sehnsüchtig erinnerte sie sich an die kleinen japanischen Christen in Kobe; die waren reinlich, freundlich und artig und sangen ihre Psalmen und Lieder so nett und vertrauensvoll, als ob sie alle eine direkte Verbindung zum lieben Gott besäßen.
    In Yang Cheng war alles ganz anders. Ein Erlebnis, bald nach ihrer Ankunft, zeigte Gladys das besonders deutlich. Sie ging durch die Stadt. Die Einwohner hatten sich nun an den Anblick der »fremden Teufel« etwas gewöhnt, und wenn sie auch noch geflissentlich einen Bogen um die beiden Missionarinnen schlugen, so machten sie sich doch nicht mehr die Mühe, sie dauernd mit Lehm zu bewerfen. Als Gladys sich dem Marktplatz näherte, bemerkte sie, daß sich dort die Menschen sammelten. In diesem Augenblick begegnete ihr die Chinesin, die im Nachbarhause wohnte. Gladys lächelte ihr zu. Die Frau winkte ihr aufgeregt, und Gladys, froh über diese unerwartete Freundlichkeit, ging zu ihr hinüber. Sie wurde am Handgelenk gefaßt, und zusammen eilten sie durch die Menge. Gaukler werden gekommen sein, dachte Gladys, oder ein Mann mit einem dressierten Bären. Hanna Lawson hatte ihr schon erzählt, daß solche

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