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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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Chinesen hören gern zu. Die anderen Gasthäuser bieten ewig dasselbe; wir können zwar auch nur den amtlichen Preis von zwei Käsch je Nacht nehmen, aber als Zugabe hören sie von uns die Geschichten der Bibel. Eine ausgezeichnete Idee ist das. Das Dach müssen wir sofort reparieren lassen.«
    Gladys ließ sich von der Welle dieser Begeisterung tragen, eine andere Wahl hatte sie nicht. Auch Chang, der Koch, fand den Plan gut; der freundliche alte Mann mit seinem runzligen Bergsteigergesicht besaß eine gute Portion Bauernschläue, und wenn er sagte »Es geht« — dann ging es auch.
    Das Dach wurde geflickt, der große Hof aufgeräumt, die Zimmer bekamen neue Türen, die Galerie des ersten Stocks eine neue Balustrade. Die Fenster wurden erneuert, was nicht allzu schwierig war, da die Scheiben nur aus undurchsichtigem Papier bestanden. Im Keller stapelte Chang einen größeren Vorrat an Hirse, Mais und Gemüse.
    »Jetzt brauchen wir einen Namen«, sagte Hanna. »Wir müssen ein Schild vor das Haus hängen, wie alle hier.«
    »Wir können ja schreiben >Zum Grünen Baum<, oder >Zur Krone<«, schlug Gladys eifrig vor. »Was würde meine Mutter sagen, wenn sie wüßte, daß ich die ganze Reise nach China gemacht habe, um Kellnerin im >Grünen Baum< zu werden!«
    Frau Lawson dachte nach. »Ich hab’s«, rief sie vergnügt, »ein wunderbarer Name: >Herberge zu den Acht Glückseligkeiten<. Ist das nicht gut?«
    »Es klingt bestimmt östlicher als der >Grüne Baum<, das muß ich zugeben«, sagte Gladys.
    Ein Schreiber, der in einem der schmalen Gäßchen bei der Hauptstraße wohnte, wurde mit der Arbeit beauftragt, und schon drei Tage später prangte das schmale gelbe Band mit den roten und blauen Schriftzeichen vor ihrem Hause, wie ein Wirtshausschild in England. Der Name war gut der uralten chinesischen Tradition nachempfunden, die immer das Blumige, Wohllautende gepflegt hat. Niemand in Yang Cheng wunderte sich über die »Acht Glückseligkeiten«. Weder Hanna noch Gladys machten sich Gedanken, welche Glückseligkeiten gemeint sein mochten — wahrscheinlich schwebte jeder der beiden Frauen etwas anderes vor. Hanna hätte sie wohl mit »Liebe, Anstand, Mut, Toleranz, Treue, Wahrheit, Schönheit und Gottesfurcht« bezeichnet. Gladys fand, daß viele ihrer zukünftigen Kunden eher »Gute Aufträge«, »Gesunde Muli« oder »Volle Mägen« als Glückseligkeiten empfanden — jedenfalls aber paßte der Name ausgezeichnet zu ihrer Herberge in Yang Cheng; er paßte in die Wildnis und Einsamkeit des südlichen Schansi.
    Ihr Haus galt als offiziell geöffnet, seit die Rolle vor dem Torweg einladend im Winde knarrte. Verführerischer Essengeruch drang aus Changs Küche; nun mußte man geduldig auf die ersten Kunden warten. Die Treiber und Träger aber stapften vorbei, warfen einen Blick auf das freundliche Schild — doch kein einziger machte Miene, im Haus der »fremden Teufel« einzukehren. Ganz offensichtlich mied man sie. Hanna Lawson hielt Kriegsrat. Man kam zu der Überzeugung, daß lockendere — oder gewaltsamere — Maßnahmen ergriffen werden mußten.
    »Sie sind verantwortlich« — Hanna deutete mit ihrem energischen Zeigefinger auf Gladys —, »daß die Kunden in Zukunft in unseren Hof kommen.«
    »Aber wie denn?« protestierte Gladys. »Wenn sie nicht zu uns wollen, kann ich sie ja nicht zwingen.«
    »Es handelt sich hier nicht darum, ob die Leute wollen oder nicht«, sagte Hanna entschlossen. »Sie müssen sie eben hereinziehen.«
    »Hereinziehen??« Gladys’ Stimme war vor Erregung mindestens um eine Oktave höher als sonst. Frau Lawson wechselte einige rasche Sätze auf chinesisch mit Chang. Er nickte zustimmend mit dem kahlen Kopf. »Ai-ai«, sagte er.
    In Yang Cheng gab es eine spezielle Art der Werbekunst — man konnte sie nicht anders als drastisch nennen. Manche der erfahrenen Treiber hatten sich in ihrer Herberge schon bei der letzten Durchreise vormerken lassen. Diese Gäste der Konkurrenz wegzufangen, galt als unanständig. Aber es gab ja auch die »Laufkundschaft«. Kam ein Mann mit seinen Tieren die Straße herab und schaute dabei rechts und links nach den Gasthausschildern, dann war er bestimmt neu in Yang Cheng — also eine rechtmäßige Beute! Plötzlich wurde der Wirt, der mild und wohlwollend in seiner Hofeinfahrt gelehnt hatte, lebendig. In dem Augenblick, wenn das Leittier an ihm vorbeizog, sprang er vor, griff es beim Kopf, zwang es in Richtung des Hofeingangs und war auf diese Weise seiner

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