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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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kleinen Ausflug in die Umgebung, erstiegen die Anhöhe, die zum Westtor hinaufführte, und gingen durch die enge Hauptstraße, vorbei am Yamen, wo der Mandarin residierte und das offizielle Leben sich abspielte. Schmale Gassen zweigten nach allen Richtungen von der Hauptstraße ab, in denen das geräuschvolle Leben der Stadt pulsierte.
    Immer war Gladys von dem bunten Straßenbild gefesselt. Jetzt, in dieser späten Nachmittagsstunde, dröhnten die Gassen, über die sich Schriftbänder mit prangenden roten, blauen und goldenen Zeichen spannten, vom lauten, geschäftigen Getriebe. Durch die Menge schritten würdig die Priester: Buddhisten im hellen Gelb; die rasierten Köpfe mit dem blauschwarzen Schimmer der Haarstoppeln glänzten von Öl. Am roten Gewand erkannte man die Taoisten. Sie alle wohnten in den vielen dunklen Steintempeln am Wege: Heiligtümer der Sonnen- und Mondgötter, der Feen, Dämonen und Geister, die seit viertausend Jahren chinesische Menschen geplagt oder getröstet haben mochten. Frauen standen schwatzend in kleinen Gruppen und ließen die Seide und Baumwolle, die in Ballen in den Basars auslagen, begehrlich durch die Finger gleiten. Die geliebten und glücklichen unter ihnen waren an dem zartrosigen Blühen ihrer matten Porzellanhaut zu erkennen und an den schönen Zierkämmen, die ihr glänzendes schwarzes Haar schmückten. In den dunklen Gassen drückten sich die alten Weiber, den jüngsten Enkel auf den Rücken gebunden, bei den Lebensmittelständen herum und sogen hungrig am zahnlosen Oberkiefer. Die Verkäufer an diesen Ständen waren meist alte Männer mit dünnen weißen Bärten; sie kauerten wie Zauberer zwischen ihren flachen schwarzen Schüsseln, bliesen die Holzkohlen, die darunter glühten, zu helleren Flammen an und mischten in kleinen Eßschalen Gemüse mit Hühnerfleisch, Mais und Öl. Der Kunde schaufelte sich dann seine Mahlzeit mit Hilfe der Eßstäbchen in erstaunlichem Tempo in den Mund.
    Überall traf man auf Bettler; sie gehörten nicht in die Stadt; sie waren ewig unterwegs auf der uralten Straße von Ost nach West und konnten niemals den amtlich festgesetzten Preis von zwei Käsch für das warme K’ang-Lager der Herberge aufbringen. Alt und jung, Frauen und Kinder, alles schlief nachts unter den zugigen Torwegen und streckte bei Tage bittende Hände nach den Vorübergehenden aus.
    Schon kamen die ersten Maultierkarawanen zu den Toren herein, um Nachtquartier in einem der Gasthäuser innerhalb der Stadtmauer zu finden. Yang Cheng lebte durch die Jahrhunderte von seiner Lage an der wichtigen Handelsstraße! Als sicherer, befestigter Platz war es der ersehnte Stützpunkt für einzelne Reisende und ganze Maultierkarawanen. Der Verkehr war so groß, daß auch außerhalb der Stadtwälle Herbergen sich aufgetan hatten. Yang Cheng war jede Nacht von Treibern und Trägem überfüllt, denn nach allen Himmelsrichtungen war es eine Tagereise bis zum nächsten Dorf.
    Ein Maultierzug bestand meist aus sieben Tieren mit zwei Treibern; oft schlossen sich noch bis zu zwanzig Trägerkulis an, von deren Schulterstangen rechts und links die Lasten baumelten.
    Während die Maultiere an den beiden heimkehrenden Missionarinnen vorbeizogen, sagte Gladys nachdenklich: »Wenn wir nur zu diesen Männern sprechen könnten — die würden unsere Botschaft durch die ganze Provinz zu Hunderten von Menschen tragen.«
    Hanna Lawson ging, ohne zu antworten, ein paar Schritte weiter. Dann wandte sie sich plötzlich zu Gladys um:
    »Sie haben’s erfaßt«, sagte sie. »Wir machen eine Herberge auf.«
    Gladys starrte sie an. Sie meinte, nicht recht gehört zu haben.
    »Eine Herberge aufmachen?« wiederholte sie ungläubig.
    »Natürlich! Warum habe ich daran nicht eher gedacht! Unser Haus war ja ursprünglich eine Herberge. Wir haben viele Zimmer. Drei K’angs sind noch vorhanden, noch dazu ziemlich große, so daß eine Menge Leute darauf schlafen können — zwei K’angs im Erdgeschoß, einer in dem großen Raum oben. Wir müssen das Dach flicken lassen. Fünfzig Mann mit ihren Tieren können wir gut unterbringen. Und einen Koch haben wir auch. Sie satt zu bekommen, ist kein Kunststück.« Ihrer Stimme hörte man die Begeisterung an.
    »Aber wir sind doch nicht hergekommen, um Herbergswirtinnen zu spielen«, warf Gladys zaghaft ein.
    »Ja, verstehen Sie denn nicht?« sagte Frau Lawson ungeduldig. »Wenn wir sie erst einmal in unserem Haus haben, können wir ihnen die Heilige Geschichte erzählen. Alle

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