Eine unbeliebte Frau
daran erinnern, dass sie wieder weggefahren ist?«
Thordis, jäh aus dem Tiefschlaf gerissen, bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen.
»Ich weiß es gar nicht genau«, sie gähnte. »Der Geländewagen von ihr stand mitten im Hof, so, wie sie ihn immer hinstellt.«
Bodenstein stand auf, vorsichtig, um seine schmerzenden Muskeln nicht zu sehr zu belasten, und ging hinüber ins Badezimmer.
»Sind Sie noch dran?«, fragte er.
»Ja«, Thordis' Stimme klang jetzt deutlich wacher, »ich denke nach. Und jetzt erinnere ich mich auch. Das Auto stand den ganzen Nachmittag und Abend da. Es war ja ein unglaubliches Durcheinander. Ich war ungefähr bis um acht da, bis alle mit ihren Pferden abgereist waren.«
»Aber Frau Jagoda haben Sie nicht mehr gesehen?«
»Nein, stimmt«, erwiderte Thordis zögernd. »Aber . Moment mal! Als ich zu meinem Auto ging, fuhr ihr Cayenne an mir vorbei. Karol saß am Steuer, aber ich habe dem keinegrößere Bedeutung beigemessen. Er fährt öfter die Autos von Jagodas in die Werkstatt oder zum Tanken.«
»Und wo ist er hingefahren?« Bodenstein war wie elektrisiert.
»Zu der neuen Reithalle, in der das Laufband steht«, sagte Thordis, »aber dann bin ich ja auch nach Hause gefahren. Keine Ahnung, was dann passiert ist. Wieso wollen Sie das eigentlich mitten in der Nacht wissen?«
»Marianne Jagoda ist seit Donnerstag spurlos verschwunden«, Bodenstein setzte sich auf den Rand der Badewanne. »Sie ist weder zu Hause aufgetaucht noch sonst irgendwo. Ihr Handy ist ausgeschaltet. Nach ihr, Frau Kampmann und diesem Karol läuft eine Großfahndung, aber bisher ergebnislos. Und ich vermute .«
Er brach ab. Ihm fiel das Messer ein, mit dem Frau Kampmann während ihres Gesprächs in der Küche so gedankenverloren gespielt hatte. Karol hatte einen Baseballschläger und mittlerweile auch seine Dienstwaffe. War es möglich, dass die beiden eine Mitwisserin getötet hatten, um sich dann mit deren Geld aus dem Staub zu machen?
»Was vermuten Sie?«, fragte Thordis.
»Ich muss nach Gut Waldhof«, sagte er.
»Jetzt? Um die Uhrzeit?«
»Ja«, Bodenstein ging zurück ins Schlafzimmer, um nach seinen Kleidern zu suchen.
»Ich komme auch hin«, sagte Thordis kurz entschlossen. »Ich bin in zwanzig Minuten am Stall.«
Es war die Stunde tiefster Dunkelheit, die der Morgendämmerung vorausgeht. Der Regen hatte aufgehört, es roch nach feuchter Erde und nassem Asphalt. Das große Tor, an das vor ein paar Tagen Friedhelm Döring gekettet worden war, stand weit offen. Da Kampmann nicht da war, hatte anscheinendniemand daran gedacht, es zu schließen. Ein Streifenwagen wartete bereits dort, und Thordis stieg aus ihrem Auto aus, als sie Bodensteins BMW erkannte. Zwei Polizeibeamte kamen quer über den Hof, begrüßten Bodenstein und warfen Thordis neugierige Blicke zu.
»Hier hat sich nichts gerührt«, meldete der eine Beamte.
»Wohin hat Karol das Auto gefahren?«, erkundigte sich Bodenstein bei Thordis.
»Dorthin«, sie wies auf das Tor der vorderen Reithalle. Zu viert gingen sie über den Rasen zu der Halle. Ein Bewegungsmelder sprang an, und ein greller Strahler erhellte die Dunkelheit. Die große Schiebetür der Halle war nicht abgeschlossen.
»Der Lichtschalter ist gleich rechts«, sagte Thordis. Wenig später flackerten die Neonröhren an der Decke des Hallenvorraums, in dem sich zwei provisorische Pferdeboxen, Heu-und Strohballen, das Trainingslaufband für die Pferde und einige landwirtschaftliche Maschinen befanden. Neben dem Laufband parkte das Golf-Cabrio, das am Vortag im Hof gestanden hatte.
»Das ist Frau Kampmanns Auto«, erklärte Thordis. Bodenstein zählte eins und eins zusammen und begriff, was geschehen war. Karol und Frau Kampmann waren nicht mit dem Golf geflüchtet, sondern mit dem Cayenne von Marianne Jagoda, der über Nacht genau an dieser Stelle gestanden hatte. Das bedeutete, dass Frau Jagoda hier irgendwo war. Und wahrscheinlich war sie tot.
»Geben Sie eine Fahndung nach dem Auto von Frau Jagoda heraus«, wies er einen der Beamten an. »Das Kennzeichen fängt mit HG an.«
»Stimmt nicht«, mischte Thordis sich ein. »Das Auto ist auf Gut Waldhof zugelassen. MTK-GW 17.«
Bodenstein blickte sie an und grinste.
»Kluges Mädchen«, sagte er. »Warum kommen Sie nicht zur Kripo? Wir brauchen Leute mit einer guten Beobachtungsgabe.«
»Das ›Mädchen‹ habe ich überhört«, antwortete Thordis würdevoll, aber ihr war deutlich anzusehen, dass sie sich geschmeichelt
Weitere Kostenlose Bücher