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Eine unbeliebte Frau

Titel: Eine unbeliebte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Leiche entfernte, »Ihre erste Leiche ist auf jeden Fall eine hübsche, frische Leiche.«
    »Eine ›frische‹ Leiche?«, fragte Heidenfeld misstrauisch.
    »Wenn Sie erst mal eine gesehen haben, die vier Wochen in einer verschlossenen Wohnung gelegen hat«, erwiderte Kronlage heiter, »dann werden Sie sehnsüchtig an die von heute denken.«
    »Alles klar«, murmelte der Staatsanwalt und wurde blass.
    Schweigend hörten er und Pia zu, wie der Professor die äußerliche Betrachtung der Leiche in das Mikrophon diktierte, das um seinen Hals hing.
    »Was würden Sie auf den ersten Blick sagen, Flick, wann ist der Tod eingetreten?«, fragte er seinen Assistenten.
    »Die Livores sind nicht mehr wegzudrücken«, der junge Arzt drückte mit seinen behandschuhten Fingern am Rücken und den Schulterblättern der Leiche herum, »das bedeutet, sie ist seit mindestens vierundzwanzig Stunden tot. Rigor mortis voll ausgeprägt, noch keine erkennbar einsetzende Fäulnis.«
    Er schnupperte.
    ». also auch noch nicht viel länger als sechsunddreißig Stunden, würde ich sagen, hm, irgendwann am Samstagabend.«
    »Gut, gut«, der Professor ergriff ein Skalpell, das er fürden Y-Schnitt an der rechten Schulter ansetzte und mit einem raschen und geübten Schnitt bis zum Brustbein der Leiche führte, »das sehe ich genauso.«
    Das Lob des Professors brachte Farbe in das angespannte Gesicht des jungen Arztes, und er beugte sich mit einem eifrigen Gesichtsausdruck über den toten Körper.
    »So ein hübsches Mädchen«, Kronlage schüttelte den Kopf, »kerngesund und trotzdem tot.«
    Staatsanwalt Heidenfeld hatte vom makabren Humor des Rechtsmediziners gehört, aber er hätte besser darüber schmunzeln können, wenn er nicht direkt am Sektionstisch gestanden hätte. Das Knacken der Rippen, die mit einer stabilen Schere durchtrennt wurden, veranlasste sein Frühstück, das in Anbetracht dessen, was heute Morgen auf ihn zukam, entsprechend karg ausgefallen war, seine Speiseröhre emporzukriechen. Er warf Pia einen hilfesuchenden Blick zu, aber sie schien gänzlich unbeeindruckt und lächelte ihm nur aufmunternd zu.
    »Wir entnehmen jetzt das Herz und wiegen es«, sagte Professor Kronlage im Plauderton wie ein grün gekleideter Metzger, »dann die Lunge ... Vorsicht, Flick, nicht wieder fallen lassen.«
    Das war zu viel. Mit einer gemurmelten Entschuldigung stürmte der nicht mehr sehr forsche Staatsanwalt hinaus auf den Flur.
     
    Bodenstein parkte auf dem Parkplatz vor der Tierklinik. Sein BMW war die einzige Extravaganz, die er sich leistete, und es störte ihn nicht, dass das Auto schon früher auf dem Parkplatz des Präsidiums in Frankfurt neidische Blicke auf sich gezogen hatte. Während seines unaufhaltsamen Aufstiegs bei der Polizei hatten Kollegen hinter seinem Rücken oft behauptet, er habe es nicht wirklich nötig zu arbeiten und tuedies nur aus Langeweile, aber er hatte die boshaften Unterstellungen mit seinem Einsatzwillen und seinen Erfolgen im Laufe der Jahre Lügen gestraft. Noch immer war der deutsche Durchschnittsbürger fest davon überzeugt, ein adeliger Name sei gleichbedeutend mit finanziellem Wohlstand. Bodenstein stieg aus und betrachtete die Gebäude der Pferdeklinik. Inka Hansen und ihre Teilhaber mussten tatsächlich eine Menge Geld in den Um- und Ausbau des alten Bauernhofs investiert haben. Er betrat den Hof. »Oliver?«
    Bodenstein wandte sich um und erkannte Inka Hansen. Sie saß schon halb in ihrem Geländewagen, stieg nun aber wieder aus und schlug die Tür hinter sich zu. Bei ihrem Anblick nach mehr als zwanzig Jahren wusste Bodenstein sofort wieder, weshalb sie damals über Monate hinweg das Zentrum seiner sehnsüchtigen Träume gewesen war. Inka war drei Monate jünger als er, musste also vierundvierzig Jahre alt sein, aber weder ihr anstrengender Beruf noch die vergangenen Jahre hatten ihrer Schönheit etwas anhaben können. Sie hatte naturblonde Haare, klare Gesichtszüge mit hohen Wangenknochen und helle, leuchtende Augen. Die enge Jeans und das knappe, rosafarbene Polohemd unterstrichen ihre leicht maskuline Anmut.
    »Hallo, Inka«, sagte Bodenstein. »Wie schön, dich wiederzusehen!«
    Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, aber etwas in ihrer Haltung strahlte Kühle und Distanz aus. Für eine Umarmung reichte die Vertrautheit früherer Tage nicht aus, deshalb gaben sie sich nur die Hand.
    »Das finde ich auch«, sagte sie mit derselben rauen Stimme wie früher, »auch wenn der Anlass für unser

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