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Eine unbeliebte Frau

Titel: Eine unbeliebte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Wiedersehen ein eher tragischer ist.«
    Sie sahen sich an, prüfend, aber wohlwollend.
    »Du siehst gut aus«, stellte Bodenstein fest.
    »Danke«, Inka lächelte und musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Dir hat die Zeit auch nicht gerade geschadet. Mein Gott, wie lange ist es her, dass wir uns gesehen haben?«
    »Ich glaube, das war auf der Hochzeit von Simone und Martin«, erwiderte Bodenstein, »und das ist sicher zwanzig Jahre her. Kurz danach bist du nach Amerika gegangen.«
    »Zweiundzwanzig Jahre«, sagte Inka, »Juli 1983.«
    »Tatsächlich. Nicht zu fassen. Du siehst noch genauso aus wie damals.«
    Inka lehnte sich an den Kotflügel ihres Autos. Auf dem Beifahrersitz saßen zwei Jack-Russell-Terrier und verfolgten aufmerksam jede Bewegung ihrer Herrin.
    »Oliver von Bodenstein«, sagte sie, und es klang ein wenig spöttisch, »so charmant wie eh und je. Was führt dich hierher? Micha ist heute nicht da.«
    »Ich wollte eigentlich mit dir und deinem anderen Kollegen sprechen«, erwiderte Bodenstein. »Wir stehen ja noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen und müssen mehr über Isabel Kerstner erfahren. Kannst du mir etwas über sie erzählen?«
    Inka Hansen warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
    »Isabel war nur selten hier. Ich habe sie nicht gut gekannt«, sagte sie dann. »Sie hat Micha das Leben wohl ganz schön schwergemacht. Am besten redest du mit Georg. Er kennt Micha schon ewig.«
    »In Ordnung«, Bodenstein nickte, »danke.«
    Eigenartig, so viele Jahre hatte er überhaupt nicht mehr an Inka Hansen gedacht, aber nun, da er ihr gegenüberstand, fielen ihm tausend Fragen ein, deren Antworten ihn eigentlich nichts angingen und die ihn überraschenderweise trotzdem plötzlich brennend interessierten.
    »Ich muss leider los«, Inka öffnete die Tür ihres Autos,»es war schön, dich wiedergesehen zu haben, Oliver. Komm doch einfach mal auf eine Tasse Kaffee vorbei, wenn du in der Gegend bist.«
     
    Hinter dem Empfangstresen der Pferdeklinik thronte der rothaarige Mops, heute aber in einen grünen Kittel gekleidet. Ein Namensschild oberhalb ihrer linken Brust wies sie als Sylvia Wagner aus.
    »Dr. Kerstner ist nicht da«, beschied sie Bodenstein knapp und ohne Begrüßung.
    »Ich möchte heute zu Herrn Dr. Rittendorf«, erwiderte Bodenstein.
    »Der hat zu tun.«
    Das Telefon klingelte.
    »Ich auch«, Bodenstein bemühte sich um Liebenswürdigkeit. »Würden Sie so freundlich sein und ihm Bescheid sagen?«
    »Moment«, sie nahm den Anruf eines Patientenbesitzers entgegen. Dann noch einen. Rasch und professionell notierte sie die Daten und machte Termine. Tüchtiges Mädchen.
    »Kannten Sie Isabel Kerstner?«, erkundigte Bodenstein sich, als sie ihr Gespräch beendet hatte.
    »Klar«, erwiderte der Mops überraschend heftig. »Und ich konnte sie nicht leiden. Es ist mir egal, auch wenn man über Tote nicht schlecht sprechen soll. Isabel war eine arrogante, blöde Kuh und hatte einen Mann wie Micha überhaupt nicht verdient.«
    »Wieso?«
    »Micha . ich meine Dr. Kerstner . rackert sich von morgens bis abends ab, damit die Klinik in Schwung kommt«, sagte sie. »Er ist ein wirklich guter Tierarzt.«
    Das Telefon klingelte wieder. Frau Wagner beachtete es diesmal nicht.
    »Isabel war das alles total egal«, ihre Miene verfinsterte sich, »sie hatte nur ihr Vergnügen im Kopf: Disko, Party, Spaß haben, bei ihrem Pferd herumhängen. Hier hat sie keinen Finger krummgemacht.«
    Ein dunkelhaariger Mann mit einer runden Hornbrille betrat den Empfangsraum.
    »Ach, Georg«, sagte Sylvia Wagner zu ihm, »der Kripo-Typ hier will mit dir reden.«
    Bodenstein nickte Kerstners Kompagnon zu.
    »Hallo«, sagte der und musterte ihn neugierig, »kein Problem.«
    Dr. Georg Rittendorf war im gleichen Alter wie Dr. Kerstner, etwa Anfang bis Mitte vierzig. Er hatte ein schmales, freundliches Gesicht und war beinahe so groß wie Bodenstein. In sein volles, dunkles Haar mischten sich erste graue Strähnen, und die blauen Augen hinter den dicken Gläsern seiner Brille blickten wachsam und abwartend. Er schien ein gesundes Selbstbewusstsein zu haben, denn von der Nervosität, wie sie beinahe jeden Menschen befällt, der nicht täglich mit der Kriminalpolizei zu tun hat, war ihm nichts anzumerken.
    »Lassen Sie uns in den Aufenthaltsraum gehen«, schlug er vor. »Möchten Sie einen Kaffee?«
    »Gerne«, Bodenstein folgte ihm und nahm an dem Tisch Platz, an dem Kerstner gestern die Nachricht vom Tod seiner Frau erhalten hatte.

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