Eine unbeliebte Frau
Rittendorf machte sich an einer Kaffeemaschine zu schaffen.
»Sie wissen, was mit der Frau Ihres Kollegen geschehen ist?«
»Ja«, Rittendorf nickte, »schlimme Sache. Aber ich kann nicht behaupten, dass ich sehr traurig bin. Es ist kein Geheimnis, dass Isabel und ich uns nicht leiden konnten.«
»Können Sie sich vorstellen, dass jemand einen Grund gehabt haben könnte, sie zu töten?«, fragte Bodenstein.
»Allerdings«, Rittendorf schnaubte verächtlich. »Ich zum Beispiel.«
»Ach ja? Wieso das?« Bodenstein musterte den hoch gewachsenen dunkelhaarigen Mann und versuchte, ihn einzuschätzen. Intelligent war er zweifellos.
»Diese Frau hat meinem Freund das Leben zur Hölle gemacht. Ich konnte sie so wenig leiden wie sie mich.«
Bodensteins Blick wanderte durch den Raum und blieb kurz an einem Wappen hängen, das an einer Wand zwischen gerahmten Urkunden und Fotografien hing. Zwei ineinander verschlungene Buchstaben bildeten sich kreuzende Schwerter.
»Studentenverbindung?«, fragte er und kniff die Augen zusammen, um den lateinischen Spruch auf dem Wappen zu entziffern.
»Oh«, Rittendorf wandte sich um, »das Wappen. Ja. Micha und ich waren auf der Uni in derselben Verbindung. Wir unterstützen sie bis heute noch, als sogenannte ›alte Herren‹.«
»Fortes fortuna adiuvat«, las Bodenstein, der ein humanistisches Gymnasium besucht und seine Lateinkenntnisse noch nicht ganz vergessen hatte. »Das Glück begünstigt die Mutigen.«
»So ist es«, Rittendorf grinste und stellte Bodenstein eine Tasse Kaffee hin. »Milch? Zucker?«
»Nein, danke«, Bodenstein nickte dankend und nahm einen Schluck Kaffee. »Erzählen Sie mir etwas von der Klinik.«
Rittendorf setzte sich ebenfalls an den Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Er blinzelte, als ihm der Qualm in die Augen geriet.
»Interessiert Sie das wirklich? Eigentlich wollen Sie mir doch Fragen über Micha stellen, oder?«
»Stimmt«, Bodenstein lächelte freimütig, »sparen wir uns den Umweg. Wie lange kennen Sie Dr. Kerstner schon?«
»Seit dem ersten Semester an der Uni«, erwiderte Rittendorf, »fast genau vierundzwanzig Jahre.«
»Und Sie sind nicht nur Kollegen oder Geschäftspartner?«
»Nein. Wir sind Freunde. Gute Freunde«, Rittendorf inhalierte den Rauch seiner Gauloise, und in seinen Augen erschien ein leicht amüsierter Ausdruck. »Und Verbindungsbrüder.«
»Seit wann sind Sie Teilhaber dieser Klinik?«
»Seit fünf Jahren«, sagte Rittendorf.
»Sie haben sehr viel Geld in den Aus- und Aufbau der Klinik gesteckt«, stellte Bodenstein fest.
»Stimmt«, Rittendorf lächelte kurz, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht, die nach wie vor wachsam blickten, »ein kleines Vermögen. Aber das wird sich auszahlen.«
»Und wegen des knappen Geldes ging die Ehe von Dr. Kerstner in die Brüche«, bemerkte Bodenstein. In die klaren hellblauen Augen des Tierarztes trat ein unergründlicher Ausdruck, und er zog den schmalen Mund in einem Winkel herab.
»Da gab's nichts zum In-die-Brüche-Gehen«, sagte er sarkastisch. »Isabel hat Micha von Anfang an belogen und betrogen. Und sie wusste, dass ich sie durchschaut hatte.«
»Wie meinen Sie das?«
»Hören Sie«, Rittendorf beugte sich vor, »vielleicht sollten Sie ihn das lieber selber fragen.«
»Ich frage aber Sie«, Bodenstein lächelte freundlich.
»Isabel hat im Leben eines jeden Menschen, der so leichtsinnig war, sich mit ihr einzulassen, eine Spur der Verwüstung hinterlassen«, sagte Rittendorf. »Sie war berechnend und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. In dem Sommer, bevor sie sich Micha krallte, fing sie etwas mit einem guten Freund von uns an. Seine Frau war hochschwanger, aber das scherte sienicht. Als sie seiner überdrüssig war und ihm das sagte, erhängte er sich im Rohbau des Hauses, das er für seine Familie gebaut hatte.«
Rittendorf verstummte und schüttelte den Kopf.
»Sie konnten Isabel nicht leiden«, stellte Bodenstein fest.
»Das ist das falsche Wort«, Rittendorf lächelte kühl. »Ich habe sie gehasst.«
In dem Moment ging die Tür auf, und Kerstner erschien im Türrahmen. Rittendorf sprang auf.
»Du musst heute nicht arbeiten, Micha, wirklich nicht. Inka und ich kriegen das schon hin.«
Bodenstein registrierte die ehrliche Besorgnis und Zuneigung im Verhalten des Mannes.
»Doch, ich muss«, erwiderte Kerstner, »ich werde sonst verrückt.«
»Ah, da sind Sie ja wieder«, stellte der Professor fest, als Staatsanwalt Heidenfeld mit
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