Eine unbeliebte Frau
meiner Rückkehr aus Amerika wiedersah, war sie schon schwanger und musste eine schnelle Lösung für ihr Problem finden. Da kam ich ihr gerade recht.«
Kerstner drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, um sich gleich darauf die nächste anzuzünden.
»Sie hatte mich aus reiner Berechnung geheiratet. Es war nicht so, dass sie mich hasste, ich war ihr einfach vollkommen gleichgültig. Und das tat weh.«
Draußen auf dem Hof brach ein Tumult aus. Schrilles Wiehern, wilder Hufschlag, laute Stimmen, das Hoftor knallte zu – aber Kerstner zuckte nicht mit der Wimper. Er hob nicht einmal den Kopf und schien innerlich weit weg zu sein. Mit dem Daumen und Zeigefinger der linken Hand rieb er sich die Augen.
»Vor ein paar Wochen eskalierte ein Streit zwischen uns, und sie eröffnete mir, dass ich überhaupt nicht der Vater unserer Tochter sei«, Kerstners Stimme schwankte, es dauerte ein paar Sekunden, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. »Das war das endgültige Ende. Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen. Bis letzten Samstag.«
Bodenstein empfand einen Anflug von Mitleid mit dem Mann, der ihm gegenübersaß, und fragte sich, wie man mit so einer Demütigung fertig wurde. Durch seinen Beruf blickte er gezwungenermaßen immer wieder in die Abgründe der menschlichen Seele. Hin und wieder kam es vor, dass er insgeheim Verständnis für einen Täter hatte, der sich durch die Aussichtslosigkeit seiner Situation zum Äußersten getrieben sah. Wenn Kerstner seine Frau getötet hatte, was Bodenstein nun immer sicherer erschien, dann war es höchstwahrscheinlich im Affekt geschehen. Der Leidensdruck war über Jahre hinweg so stark geworden, dass es zur Tragödie hatte kommen müssen.
»Was wollte Ihre Frau am Samstag von Ihnen?«, fragte er. Kerstner schloss kurz die Augen, dann öffnete er sie wieder und zuckte die Schultern. Für einen Moment herrschte völlige Stille, die jäh vom Summen eines Handys unterbrochen wurde. Ärgerlich ergriff Bodenstein das Gerät.
»Ich kann jetzt nicht«, sagte er in das Handy.
»Es ist aber wichtig!«, rief Pia Kirchhoff auf der anderen Seite. »Wir wissen jetzt, wie die Frau gestorben ist. Kronlage hat in der rechten Armbeuge die Einstichwunde von einer Spritze gefunden. Bei der Schnellanalyse von Blut und Urin kam heraus, dass sie an einer tödlichen Dosis eines Barbiturats gestorben ist. Genauer gesagt handelte es sich um Natrium-Pentobarbital.«
Bodenstein warf Kerstner einen raschen Blick zu, den dieser nicht bemerkte.
»Ist das ganz sicher?«
»Ja«, sagte Pia, »der Triage-Schnelltest ist ziemlich sicher. Kerstner hat Zugang zu Pentobarbital. Es ist Bestandteil von Arzneimitteln, die in der Veterinärmedizin zur Euthanasie von Tieren benutzt werden.«
»Was ist mit dem Todeszeitpunkt?«, erkundigte Bodenstein sich.
»Der Arzt hatte ganz gut geschätzt. Kronlage meint, am frühen Samstagabend, zwischen halb acht und halb neun. Ach ja, noch etwas: Isabel Kerstner hatte vor kurzer Zeit ein Kind abtreiben lassen.«
»Alles klar«, sagte Bodenstein knapp, »bis später.«
Er sah Kerstner an, der versunken vor sich auf die Tischplatte starrte. War es wirklich so einfach? Hatte dieser Mann seine Frau, die ihn jahrelang belogen, betrogen und gedemütigt hatte, mit einem tödlichen Medikament ermordet, als er sie am Samstagabend wiedergesehen hatte? Es gab einiges, was dafür sprach, aber auch einiges, was ihn entlastete.Warum hatte er sich mit der Geschichte, die er ihm erzählt hatte, selbst belastet? Er hatte Bodenstein ja quasi das Motiv für einen Mord auf dem Silbertablett serviert! Scheinbar einfache Lösungen machten Bodenstein misstrauisch.
»Dr. Kerstner«, sagte Bodenstein nun, »nach den neuesten Erkenntnissen starb Ihre Frau nicht durch den Sturz vom Turm.«
»Wie bitte?«, der Kopf des Mannes zuckte hoch. Die Verwirrung und Verständnislosigkeit in seinem Blick waren echt, so viel glaubte Bodenstein an Menschenkenntnis zu besitzen.
»Überrascht es Sie, wenn ich Ihnen sage, dass Ihre Frau durch eine tödliche Injektion in die Armvene gestorben ist?«
»Eine tödliche Injektion«, wiederholte Kerstner, schüttelte den Kopf, aber dann schien er zu begreifen. »Und jetzt glauben Sie, ich hätte etwas damit zu tun?«
»Ich glaube gar nichts«, erwiderte Bodenstein sachlich, »aber es wäre an der Zeit, dass Sie mir verraten, was Ihre Frau von Ihnen gewollt hat und was Sie am Samstagabend zwischen neunzehn und dreiundzwanzig Uhr gemacht haben. Wo waren Sie zu
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