Eine unbeliebte Frau
wollte Bodenstein wissen.
»Ehrlich gesagt – nein«, sagte Kampmann mit müder Stimme. »Es war mir sogar ziemlich egal.«
Bodenstein und Pia Kirchhoff saßen im Restaurant Merlin und warteten auf Pias Schwager Ralf, der sie am Morgen vom Flughafen aus angerufen hatte. Pia hatte ihrem Chef erzählt, was sie von ihrem Schwager über Jagoda zu erfahren hoffte, da hatte Bodenstein vorgeschlagen, sich zu dritt zumAbendessen zu treffen. Er hatte nichts Besseres vor, da Rosalie Fahrstunde hatte – Nachtfahrt – und Lorenz seit ein paar Tagen nicht ansprechbar war, wenn er überhaupt nach Hause kam. Ralf kam pünktlich zehn Minuten zu spät, wie immer. Pia stellte die beiden Männer einander vor, dann sahen sie sich die Speisekarte an und bestellten.
»Erzähl uns was über die JagoPharm«, bat Pia ihren Schwager, als der Wein gekommen war.
»Ich hoffe, du hast nicht deine Ersparnisse auf die gesetzt«, Ralf grinste.
»Ich setze meine Ersparnisse nur auf das, was du mir empfiehlst«, erwiderte Pia und grinste auch. »Also, schieß mal los.«
»Die JagoPharm war ein klassischer Fall von Neue-Markt-Euphorie«, sagte Ralf. »Sie war damals, vor sechs Jahren, der Shootingstar am Neuen Markt. Spitzenprognosen, tolle Story, exzellente Leute im Management. Die Aktie schoss von einem Emissionspreis von neunzehn Euro innerhalb von sechs Monaten auf über vierhundert Euro hoch. Wer damals investiert und realisiert hat, machte einen Riesengewinn. Ich habe selbst mit den IR-Leuten von der JagoPharm und deren Emissionsberatern zu tun gehabt, aber glücklicherweise haben sie sich für andere Geldgeber entschieden.«
»Glücklicherweise?«, fragte Bodenstein. »Es lief doch erst ganz gut, oder?«
»Es war alles nur heiße Luft«, sagte Ralf Kirchhoff. »Papier ist geduldig. Das hörte sich alles einfach toll an – und auf Biotech flogen damals alle Investoren. Sie hatten eine absolut professionelle Performance, regelmäßige Ad-hoc-Meldungen über Wachstumsstrategien, Akquisitionen, Expansionspläne, dazu starke Investoren im Hintergrund. Das hat eine Weile gereicht, aber irgendwann war klar, dass etwas nicht so lief, wie es laufen sollte. Der Vorstand war schnell zerstritten, weilJagoda lauter hochbezahlte Primadonnen zusammengekauft hatte, die sich nur um Kompetenzen stritten, statt sich um das operative Geschäft zu kümmern. Nach einem Jahr war klar, dass sie ihre Prognosen geschönt hatten. Der Quartalsbericht war eine Katastrophe, und sie mussten eine Gewinnwarnung herausgeben. Dazu krachte der ganze Markt runter, und JagoPharm allen voran. Im Moment werden sie unter einem Euro gehandelt, sämtliche institutionellen Anleger haben die Aktie längst verkauft.«
Bodenstein und Pia lauschten interessiert.
»Jagoda hatte keine Ahnung vom Kerngeschäft seines Ladens«, fuhr Ralf fort. »Ursprünglich war die JagoPharm eine Tablettenfabrik. Sie stellten irgendwelche Magentabletten aus Sole her, genau weiß ich's auch nicht. Jagoda hat die Firma geerbt, einen soliden, kleinen Laden mit sechzig Mitarbeitern. Die notwendigen Mittel für den Start-up hat er wohl in der Hauptsache von seiner Frau bekommen, und durch Beziehungen kam er an eine echte Biotech-Firma heran, die seit Jahren an einem Krebsmedikament herumforschte. Da hatte er dann seine Wissenschaftler und Labors, um der ganzen Sache einen seriösen Anstrich zu geben. Jagoda hat zweifellos Mut, und er hatte den richtigen Zeitpunkt erwischt.«
»Wie viele Leute beschäftigt die JagoPharm heute?«, erkundigte Bodenstein sich.
»Schwer zu sagen«, Ralf Kirchhoff zuckte die Schultern, »das ist ein ziemlich verschachtelter Laden, eine Holding mit zig Unterfirmen. Sie haben zu besseren Zeiten ein Dutzend kleine Firmen zusammengekauft, Joint Ventures und strategische Partnerschaften abgeschlossen. Jagodas Lieblingswort war ›Synergie‹, aber wirklich durchblicken tut da schon lange keiner mehr. Im Geschäftsbericht vor drei Jahren behaupteten sie, sie hätten knapp viertausend Angestellte, aber im letztenJahr waren direkt bei der JagoPharm Holding AG nur noch siebenundzwanzig Leute angestellt.«
»Wie geht denn das?«, fragte Pia.
»Sie haben die Leute in andere Firmen abgeschoben, Segmente verkauft oder die Leute einfach rausgeschmissen. Auf jeden Fall ist der Laden ziemlich am Ende.«
Bodenstein nickte. Kein Wunder, dass Jagoda gestern Abend so angespannt gewirkt hatte.
»Hans Peter Jagoda«, sagte Ralf Kirchhoff, »ist der klassische Selfmademan, ausgesprochen
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