Eine unbeliebte Frau
Rittendorf seufzte.
»Wie Sie sehen«, fuhr Kerstner mit plötzlicher Verbitterung fort, »hatte ich überhaupt kein Interesse daran, dass sie stirbt. Ich hätte lieber von ihr erfahren, wo mein Kind ist und wie ich es zurückbekomme.«
Als Bodenstein von Ruppertshain Richtung Königstein fuhr, rief Frank Behnke an. Das Ehepaar Terhorst, das im Zauberberg in einer der Wohnungen im ersten Stock wohnte, hatte am vergangenen Samstag interessante Beobachtungen gemacht. Friedhelm Döring hatte wohl ausnahmsweise nicht gelogen, als er behauptet hatte, er habe die Nacht bei Isabel verbracht, denn Constantin Terhorst war ihm am Samstagmorgen um Viertel nach sieben begegnet, als er den Aufzug verlassen hatte. Ein paar Stunden später, etwa gegen halb zwölf, hatte Isabel Kerstner erneut Herrenbesuch bekommen. Der Mann war mit einem silbernen Geländewagen gekommen, das wusste Monika Terhorst genau, weil das Auto ihres auf dem Parkplatz blockiert hatte. Sie hatte den Mann schon früher in Begleitung von Isabel im Haus gesehen, daher hatte sie gewusst, dass er bei ihr gewesen sein musste. Kurz vor drei war Isabel aus dem Haus gegangen. Die Terhorsts hatten sie von ihrem Balkon aus gesehen und auch beobachtet, dass eine Frau mit einem dunklen BMW Touring gekommen war und auf dem Parkplatz eine gute Viertelstunde mit Isabel diskutiert hatte.
»Der Mann mit dem Geländewagen war Kampmann, ganz sicher«, sagte Behnke, als er seinen Bericht beendet hatte. »Er hat gelogen, als er behauptet hat, er habe Isabel nur kurz am Samstagabend im Reitstall gesehen.«
»Möglich«, erwiderte Bodenstein, »dann fahre ich wohl noch mal nach Gut Waldhof.«
In knappen Worten berichtete er seinem Mitarbeiter, was er soeben von Kerstner über das Kind erfahren hatte. Es war nicht anzunehmen, dass sich die Leute, in deren Obhut Isabel das Kind gegeben hatte, freiwillig bei der Polizei melden würden, also musste man mehr oder weniger auf Kommissar Zufall hoffen.
Auf jeden Fall musste die Fahndung nach Marie Kerstner mit höchster Dringlichkeit behandelt werden. Möglicherweise war das verschwundene Kind der Schlüssel zu dem Mord.
Robert Kampmann bestritt zuerst, bei Isabel Kerstner gewesen zu sein. Bodenstein wusste, dass der Mann log, denn er war kein guter Lügner. Seine Finger zitterten, und er war ausgesprochen nervös.
»Hören Sie, Kampmann«, sagte Bodenstein eindringlich, »wenn Sie nicht allmählich etwas kooperativer sind, werde ich beim Staatsanwalt einen vorläufigen Haftbefehl gegen Sie beantragen. Wir werden eine Gegenüberstellung mit den Nachbarn von Frau Kerstner machen, und wenn diese Sie als den Mann identifizieren, der am vergangenen Samstag anderthalb Stunden in der Wohnung war, dann sind Sie dran wegen Behinderung der Polizei. Ich versuche, einen Mordfall aufzuklären. Hier geht es um ein Kapitalverbrechen, und das nehme ich sehr ernst.«
Kampmann knetete seine Hände und wurde blass.
»Also«, Bodenstein beugte sich vor, »was haben Sie am Samstag, dem 27. August, getan? Wo waren Sie zwischen halb zwölf und ein Uhr, und wo waren Sie am Abend?«
Sie saßen im Esszimmer von Kampmanns Haus, das so aufgeräumt und steril wirkte wie ein Bild aus einem IKEA-Katalog.Frau Kampmann, die wie aufgezogen mit einem strahlenden Lächeln von einem Zimmer ins andere fegte, schien eine tüchtige Hausfrau zu sein. Sie war perfekt geschminkt und frisiert, trug einen moosgrünen Kaschmirpullover, hautenge Jeans und für einen gewöhnlichen Wochentag außergewöhnlich viel Schmuck.
»Möchten Sie einen Kaffee trinken?«, flötete sie strahlend, aber Bodenstein lehnte dankend ab. Sie legte ihrem Mann die Hand auf die Schulter, worauf dieser das Gesicht verzog.
»Kannst du uns bitte alleine lassen?«, seine Stimme klang ungehalten.
»Natürlich«, sie zog ihre Hand weg. Bodenstein erkannte an dem Blick, mit dem sie ihren Mann bedachte, dass die aufgesetzte Fröhlichkeit nur Fassade war. Frau Kampmann war verletzt oder wütend, oder beides zugleich. Auf jeden Fall war zwischen den beiden irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung. Kampmann wartete, bis die Tür hinter seiner Frau ins Schloss gefallen war und sie vor dem Fenster über den Hof tänzelte.
»Ich war am Samstagvormittag bei Isabel«, sagte er, und seine Miene war so undurchdringlich, dass Bodenstein nicht einmal ansatzweise erahnen konnte, was hinter der Stirn des Mannes vor sich ging.
»Und was wollten Sie dort?«
»Es war . geschäftlich.«
»Könnten Sie
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