Eine unbeliebte Frau
sich an den Tisch gesetzt und eine Zigarette angezündet hatte. Er wirkte nicht mehr ganz so am Boden zerstört wie Anfang der Woche, er war weitaus zugänglicher, aber dennoch weit davon entfernt, einen ausgeglichenen Eindruck zu machen.
»Am vergangenen Samstag wurde das Auto Ihres verstorbenen Schwiegervaters zwischen Königstein und Kelkheim geblitzt«, sagte Bodenstein, »ein goldenes Mercedes-Cabriolet. Dasselbe Auto wurde am Nachmittag auf dem Parkplatz von McDonald's in Schwalbach gesehen. Der Fahrer des Autos unterhielt sich mit Ihrer Frau. Wer kann das gewesen sein?«
»Keine Ahnung«, Kerstner schüttelte überrascht den Kopf.
»Mein Schwiegervater ist vor vier Jahren gestorben. Wie kommen Sie darauf, dass es sein Auto sein könnte?«
»Es ist noch auf ihn zugelassen.«
Kerstner drehte geistesabwesend eine leere Tasse zwischenden Fingern. »Ich weiß nichts über das Auto. Ich wusste nicht einmal, dass es noch existiert.«
Bodenstein ergriff die Lehne eines Stuhles und beugte sich vor.
»Können Sie mir denn jetzt sagen, was Ihre Frau am Samstagnachmittag von Ihnen wollte?«
Es war, als ob eine Jalousie herunterrasselte. Die Gesichtszüge des Mannes wurden verschlossen und abweisend.
»Wollte Sie Geld von Ihnen?«
Keine Reaktion.
»Ging es um Ihre Tochter? Um Marie?«
Die Kaffeetasse zersprang in Kerstners Fingern in zwei Teile. Blut quoll aus einem Schnitt und tropfte auf den Tisch, aber Kerstner schien nicht einmal zu bemerken, dass er sich verletzt hatte. Da war wieder dieser gequälte, hohläugige Ausdruck auf seinem Gesicht, und Bodenstein wusste, dass er mit seiner Vermutung voll ins Schwarze getroffen hatte. Isabel war ein paar Stunden vor ihrem Tod zu ihrem Mann gefahren, um ihm etwas über das Kind zu sagen. Etwas Schreckliches womöglich, aber zumindest etwas, was den Mann völlig aus der Bahn geworfen hatte.
»Sie haben sich verletzt«, sagte Bodenstein, und erst jetzt schien Kerstner die Verletzung überhaupt zu bemerken. Er führte die Hand an den Mund und umschloss die Wunde mit den Lippen. Es klopfte an der Tür, und Tierarzthelferin Sylvia kam herein. Sie schenkte Bodenstein keine Beachtung.
»Micha, da ist Frau Ritter am Telefon, sie will wissen, ob ...«
»Ich rufe sie zurück«, unterbrach Kerstner sie und starrte blicklos auf das Blut, das an seinem Handgelenk hinablief und auf der Tischplatte rasch eine Lache bildete.
»Mein Gott!«, stieß Sylvia Wagner hervor, als sie es sah, und wandte sich im Türrahmen um.
»Micha ruft zurück!«, rief sie jemandem zu, und dann lief sie weg, nur um eine Minute später mit Rittendorf und Anna Lena Döring im Schlepptau aufzutauchen. Bodenstein sah ein, dass es keinen Sinn hatte, weitere Fragen zu stellen.
»Das muss genäht werden«, sagte er zu Rittendorf, der die Hand seines Kollegen ergriffen hatte und die Verletzung in Augenschein nahm.
»Das sehe ich auch«, erwiderte der Tierarzt schroff und wandte sich an seinen Freund. »Mensch, Micha, was ist denn los mit dir? Komm, steh auf, ich fahre dich ins Krankenhaus.«
Kerstner beachtete ihn nicht. Er erhob sich mit starrem Blick und machte sich los. Rittendorf und Anna Lena Döring traten einen Schritt zurück. Kerstner blieb vor Bodenstein stehen, und der Kommissar erkannte, dass der Mann mit den Tränen kämpfte.
»Isabel war hier, weil sie eine Unterschrift von mir wollte«, sagte er mit gepresster, aber entschlossener Stimme. »Sie hatte die Scheidung eingereicht und wollte, dass alles schnell und ohne das vorgeschriebene Trennungsjahr über die Bühne geht. Ich wollte das nicht einfach so unterschreiben, ohne wenigstens vorher alles von einem Anwalt prüfen zu lassen. Dann fragte ich Isabel nach Marie.«
Er machte eine Pause und fuhr sich mit der Hand über das gequälte Gesicht, ohne an seine Verletzung und daran zu denken, dass er sich mit Blut beschmierte.
»Ich sagte, ich wolle mein Kind sehen, vorher würde ich gar nichts unterschreiben. Da wurde sie sauer. Marie sei überhaupt nicht mein Kind. Ich solle jetzt keine Schau abziehen, sondern unterschreiben, und zwar auf der Stelle, sonst würde ich Marie nie wiedersehen, denn sie habe sie an einen Ort gebracht, wo ich sie niemals finden würde.«
Kerstner seufzte.
»Dann rief Anna Lena an, und ich ließ Isabel einfach stehen. Später tauchte sie noch einmal auf Gut Waldhof auf, aber da hatte ich keine Zeit, mit ihr zu diskutieren.«
Bodenstein blickte ihn mitfühlend an, Anna Lena Döring schluchzte auf, und
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