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Eine unbeliebte Frau

Titel: Eine unbeliebte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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fragte er deshalb nach. Inka wirkte ein wenig unbehaglich und verlegen.
    »Ach, was soll's denn«, sie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute zur Seite, »das sind alles alte Geschichten.«
    »Ja, du hast recht. Es ist lange vorbei, wir haben alle unseren Weg gemacht. Wer weiß, wozu alles gut war.«
    Es war ganz still. Ihre Verlegenheit übertrug sich auf ihn, und Bodenstein wünschte, er hätte geschwiegen. Plötzlich hob Inka den Kopf und sah ihn mit einem langen seltsamen Blick an. Als sie wieder sprach, tat sie es bewusst leicht und obenhin.
    »Das mit Ingvar und mir fing erst viel später an«, sagte sie. »Meine ganze Jugend hindurch gab es nur einen einzigen Jungen, in den ich verliebt war, und das warst du. Ich habe für dich geschwärmt, seitdem ich denken konnte, und immer gehofft, du würdest es bemerken, aber das hast du nicht.«

Sonntag, 4. September 2005
    Der Traum begann zu zerfließen, zu zerrinnen, und Bodenstein wachte auf, weil ihm die Sonne direkt ins Gesicht schien und sein Handy klingelte. Er schreckte jäh hoch und tastete nach dem Telefon. Wie spät war es wohl? »Bodenstein«, murmelte er.
    »Hardenbach«, hörte er eine zaghafte Frauenstimme. »Entschuldigen Sie bitte die frühe Störung.«
    Bodenstein fuhr in die Höhe, bereute die schnelle Bewegung aber sofort. Ein dumpfer Schmerz presste sich wie ein eiserner Ring um seinen Kopf und erinnerte ihn an die zwei Flaschen Rotwein, die er letzte Nacht geleert hatte. Schlimmer noch als der Kater waren die Schuldgefühle, die ihn quälten. Er hatte einen beschämend realistischen Traum von Inka gehabt. Ganz allmählich kehrte die Erinnerung an den gestrigen Nachmittag zurück, sein Gehirn weigerte sich zu begreifen, welch tiefsitzende Wunde er aufgerissen und welchen Schaden er angerichtet hatte. Bevor es hätte peinlich werden können, hatte der Anruf eines Pferdebesitzers Inkas überstürzten Aufbruch erfordert. Trotzdem, in seinem benebelten Kopf fühlte es sich beinahe wie Ehebruch an.
    »Frau Hardenbach«, murmelte er und bemühte sich um Klarheit in seinem Kopf. »Sie stören nicht. Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich habe lange über unser Gespräch nachgedacht«, sagtedie Frau des toten Oberstaatsanwalts. »Es tut mir leid, dass ich Sie fast aus meinem Haus geworfen habe, aber ich ... es ist schwer für mich, zu begreifen, dass mein Mann in Wirklichkeit nicht der war, für den ich ihn all die Jahre gehalten habe. Ich habe . ich habe etwas gefunden, was Sie interessieren dürfte. Können Sie bei mir vorbeikommen?«
    »Ja, natürlich«, erwiderte Bodenstein.
    »Ich erwarte Sie. Bis später.«
    Und schon hatte sie aufgelegt. Bodenstein blinzelte ins gnadenlos helle Sonnenlicht und tippte Pia Kirchhoffs Nummer ein.
    »Ich bin leider nicht wirklich in der Lage, Auto zu fahren«, sagte er, nachdem er ihr knapp geschildert hatte, weshalb er sie an einem Sonntagmorgen brauchte. »Können Sie mich abholen?«
    »Klar. Bin in einer halben Stunde da.«
    Bodenstein taumelte zum Badezimmer und stolperte beinahe über den Hund, der vor seiner Schlafzimmertür geduldig darauf gewartet hatte, dass sein Herrchen aus dem Koma erwachte, um ihn zu füttern und wenigstens kurz in den Garten zu lassen. Eine ganze Weile starrte Bodenstein sein unrasiertes und übernächtigtes Gesicht im Spiegel an, die Hände auf den Rand des Waschbeckens gestützt. Er nahm sich in dieser Minute vor, jeden weiteren Kontakt zu Inka zu unterlassen. Nach einer ausgiebigen Dusche, zwei starken Kaffee und einem langen Telefonat mit Cosima auf der anderen Seite der Erdkugel hatte er sein seelisches Gleichgewicht zurückgewonnen. Das Gespräch mit Inka kam ihm nur noch wie ein entfernter Traum vor. Er hatte die Tür zur Vergangenheit wieder energisch hinter sich geschlossen. Das war besser so.
     
    Die Unterlagen, die Oberstaatsanwalt Hardenbach im Fall der JagoPharm zurückgehalten und damit die Ermittlungenerfolgreich torpediert hatte, füllten zwei Umzugskartons und waren so akribisch abgeheftet, wie es dem pingeligen Naturell des Mannes entsprochen hatte. Ganz oben auf den Akten in der ersten Kiste lag ein Briefumschlag, der an Bodenstein adressiert war. Alle Mitarbeiter des K11 waren ins Kommissariat beordert worden und saßen nun mit erwartungsvoll abwartenden Mienen an dem großen Tisch im Konferenzraum. Nachdem Frau Hardenbach sich den Film mit ihrem Mann in der unfreiwilligen Hauptrolle angesehen hatte, war sie zu dem Schluss gekommen, dass es nicht länger

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