Eine unbeliebte Frau
schon seit längeremwegen Insiderhandels und anderer vermuteter Straftaten im Visier gehabt. Für eine Anklage hatte es nie gereicht, da man trotz aller Bemühungen und Vermutungen keine eindeutigen Beweise hatte vorlegen können. Im Juni waren auf Geheiß der Staatsanwaltschaft die Ermittlungen endgültig eingestellt worden. Bodenstein konnte nicht umhin, Jagodas Gerissenheit anzuerkennen. Mit der Erpressung von Oberstaatsanwalt Hardenbach hatte er sich eine Atempause verschafft, in der es ihm gelingen konnte, seine angeschlagene Firma mit Hilfe des neuen Medikaments wenigstens finanziell auf solide Füße zu stellen. Es war früher Nachmittag, als das Telefon klingelte. Der Hausmeister des Zauberbergs, aufmerksamer Zeitungsleser und begeisterter Anhänger der amerikanischen CSI-Serien, hatte im Hinterhof des Gebäudes einen einzelnen Damenschuh gefunden. Da er aus der Zeitung erfahren hatte, dass die Polizei den zweiten Schuh der toten Frau suchte, gleichzeitig auch wusste, dass jedes Detail für die Aufklärung eines Falles von ungeheurer Bedeutung sein konnte, hatte er die sonst von ihm strikt eingehaltene Befehlskette umgangen und direkt bei der Kripo angerufen, ohne mit seinen Vorgesetzten Rücksprache zu halten. Bodenstein hatte nichts Dringenderes vor und versprach, umgehend nach Ruppertshain zu kommen, um den Schuh in Augenschein zu nehmen. Stolz und aufgeregt präsentierte ihm der Mann eine Stunde später einen Schuh, der leider dem Manolo-Blahnik-Unikat an Isabel Kerstners linkem Fuß so wenig ähnelte wie ein Porsche einem Skoda. Bodenstein bedankte sich trotzdem, packte den Schuh in einen Plastikbeutel, um den hilfsbereiten Mann nicht zu sehr zu enttäuschen, und setzte sich wieder ins Auto. In dem Moment erinnerte er sich an Inka Hansens Einladung. Komm doch mal auf einen Kaffee vorbei, wenn du in der Gegend bist ... Er war in der Gegend. Und er hatte nichts vor.
Das alte Bauernhaus war von den Umbauarbeiten in der Pferdeklinik weitgehend verschont worden. Im Vorgarten blühten Sommerblumen und liebevoll beschnittene Rosen in verschwenderischer Fülle, der Rasen war sorgfältig gemäht. Bodenstein zögerte kurz, bevor er das Tor öffnete und zur Haustür ging. Er lächelte, als er den altmodischen Klingelzug sah, und betätigte ihn dann. In den Tiefen des Hauses ertönte ein melodisches Läuten, wenig später näherten sich Schritte der Haustür. Bodensteins Herz machte unversehens einen Satz, als er Inka gegenüberstand.
»Ich hab dich schon kommen sehen«, sagte sie. »Eigentlich dachte ich, du tauchst früher auf.«
Sie wandte sich ab, und er folgte ihr ins Innere des Hauses.
»Hier hat sich kaum etwas verändert«, stellte er fest, »schön.«
»Schön?« Inka hob spöttisch die Augenbrauen. »Ich hätte es gerne etwas moderner, aber mit dem Bau der Klinik habe ich meine finanziellen Mittel vorübergehend erschöpft.«
Sie blickten sich an.
»Komme ich ungelegen?«, fragte Bodenstein. »Ich will nicht stören.«
»Du störst nicht«, erwiderte Inka. »Heute ist es ruhig. Mein Kind ist ausgeflogen, die Pferde sind versorgt, die Buchhaltung hat Zeit.«
Sie gingen hinaus auf die Terrasse und setzten sich in gemütliche Rattansessel unter die Pergola, die von einer violetten Glyzinie überwuchert war. Es war ein goldener Spätsommernachmittag. Die warme Luft duftete nach Sommerflieder und Lavendel, der in großen Büschen neben der Terrasse wuchs.
»Erzähl mir was von dir«, forderte Inka ihn auf. Sie hatte ihm gegenüber auf einem Rattansofa Platz genommen, die Füße unter sich gezogen und betrachtete ihn mit wachsamerNeugier. Bodenstein umriss sein Leben in den letzten Jahren, erwähnte Frau, Kinder und Beruf. Es fiel ihm schwer, unbefangen mit ihr zu reden. Auf einmal fragte er sich, ob es eine gute Idee gewesen war, hierherzukommen. All die Jahre hatte er nicht mehr daran gedacht, wie ausgesprochen gut Inka ihm immer gefallen hatte. Die lang vergessen geglaubten Gefühle kehrten mit einer Heftigkeit zurück, die ihn erschreckte.
»Und du?«, fragte er schließlich. »Was hast du gemacht, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben?«
Ein flüchtiger Schatten huschte über ihr Gesicht.
»Aus den zwei Semestern Auslandsstudium wurden zehn«, sagte sie nach einer Weile, »wahrscheinlich wäre ich in Amerika geblieben, wenn nicht das mit meinem Vater passiert wäre. Mama hatte mich gebeten zurückzukommen.«
Inka schob sich eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn.
»Ich habe
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