Eine unberührte Welt - Band 4 (German Edition)
Jahren davon oder mit Bewährung. Und ich hab Angebote von Computerfirmen, die mich gleich einstellen wollen, ohne Studium und alles.«
»Oh, gratuliere. Dann hat sich’s ja gelohnt.«
»Na ja. Mein Gehalt wird vermutlich gepfändet, solange ich lebe«, sagte Fabian. »Da komm ich nicht drumrum. Ich werde nie im Leben über das absolute Existenzminimum rauskommen, egal, was ich anstelle.«
Sie musterte ihn. »Ich schätze, es wäre billiger gewesen, mir eine SMS zu schicken, was? Ich meine, wenn es nur darum gegangen wäre.«
»Ich wollte nur … Ich … Hast du es denn überhaupt gelesen?«
»Ich hab’s gelesen.«
Fabian betrachtete das matte braunweiße Muster des Bodens. »Wirst du wieder laufen können? Ich meine, Leichtathletik und so?«
»Mit ein bisschen Glück. In einem halben Jahr, sagt der Doc.«
»Gut.« Fabian nickte, ein wenig erleichtert. »Ich weiß nicht, was ich mir bei all dem eigentlich gedacht habe.«
»Nicht?« Sie schien amüsiert. »Kann ich dir sagen. Du wolltest mich beeindrucken. Mir zeigen, dass du ein toller Typ bist. Das hab ich schon verstanden, ich bin ja nicht blöd. Außerdem hat das bis jetzt noch jeder Kerl versucht, den ich je getroffen habe.«
»Aber ich wollte nicht, dass so etwas passiert.«
Die Worte versickerten in einem Moment der Stille. Amaryllis sah ins Leere. »Damals an der Bushaltestelle, warum hast du da eigentlich nicht mit mir geredet? Mann, ich habe extra auf dich gewartet, weißt du das? Ich habe echt alles versucht, um mit dir ins Gespräch zu kommen. Aber du Idiot ziehst dein Buch raus und lässt mich kalt abfahren.«
Fabian war geplättet. »Echt? Du hast gewartet? Auf mich?«
»Meinst du, ich habe nicht bemerkt, wie du mich die ganze Zeit angestarrt hast? Ich wollte wissen, was du für einer bist. Ob du vielleicht anders bist als die anderen.« Sie lachte auf; ein hartes, schmerzerfülltes Lachen. »Aber du warst auch nur so ein Angeber.«
Fabian merkte plötzlich, dass er bis zu diesem Moment insgeheim gehofft hatte, wenigstens noch als zerknirschter Sünder, der sich Asche aufs Haupt häuft, ihr Herz zu gewinnen. Aber die Masche würde nicht ziehen. »Ich hab es echt verschissen, was?«, flüsterte er.
Amaryllis sah ihn an, und ihre dunklen Augen wurden schwarz dabei. »Ich wäre fast gestorben, Fabian. Wegen dir. Das macht mich – wie soll ich sagen? – etwas voreingenommen.«
»Verstehe«, sagte Fabian, und diesmal verstand er wirklich. Einen Computer rebootet man, installiert ihn zur Not neu, und alles beginnt von vorn, egal, was an Systemabstürzen gewesen ist. Doch das Leben geht immer weiter, kein Schritt kann rückgängig gemacht werden, nicht einer, und endgültige Dinge bleiben endgültig. Das war der Unterschied.
© 2002 Andreas Eschbach
Ein Fest der Liebe
Man hat mich schon oft gefragt, ob ich nicht mal eine Weihnachtsgeschichte schreiben wolle. Es muss trotz der zahllosen Erzählungen rund um dieses Thema einen schier unstillbaren Bedarf an weiteren Erzählungen rund um dieses Thema geben.
Aber leider ist Weihnachten ein Feiertag, der bei mir irgendwie keine kreativen Funken schlägt. Deshalb blieb es immer dabei, dass ich – durchaus ehrlichen Herzens – versprach, darüber nachzudenken, mir weiter aber nichts dazu einfiel.
Bis Carsten Polzin vom Piper-Verlag mich das fragte. Der Unterschied war, dass er hinzufügte: »Aber es sollte etwas Schräges sein.«
Schräg.
Nun – damit kann ich etwas anfangen …
Sie hieß Helena, ließ sich von allen Leuten aber nur Lena nennen, war siebenunddreißig Jahre alt und würde zum ersten Mal Weihnachten allein verbringen.
Das Wetter war so traurig wie diese Aussicht. Nasskalte Tage reihten sich auf das Fest zu. Der Himmel blieb grau und inkontinent, kein Schnee sank, nur die Temperaturen draußen. Hässliche Dinge geschahen. Zweimal fand Lena ein totes Tier am Straßenrand, erst einen überfahrenen Fuchs und am Tag darauf eine zerquetschte Katze. Sie sah eine Amsel, die an dem Kadaver herumpickte, und eine andere Katze, die sich mit glitzerndem Jägerblick näherte, ganz offensichtlich nur an der möglichen Beute interessiert, nicht am Schicksal ihrer Artgenossin.
Fressen oder gefressen werden, das war die Devise in der Welt der Tiere. Von einem Fest der Liebe, erkannte Lena, wussten Tiere nichts.
Um so trostloser zu erleben, dass auch Menschen dieses Fest auf den bloßen Anlass reduzierten, Geld auszugeben und Geschäfte zu machen, obwohl sie es besser hätten wissen
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