Eine unberührte Welt - Band 4 (German Edition)
schnell es ging, und die Helfer luden sie auf eine Trage.
»Wir bekommen keine Verbindung zum medizinischen System«, rief der Pilot und wies auf einen Computerbildschirm, der verrückt spielte. »Keine Ahnung, welches Krankenhaus Kapazitäten hat.«
»Dann fliegen Sie zum nächstgelegenen«, schrie der Arzt zurück. »Und so schnell wie möglich!«
In der Tagesschau kam es als erste Meldung. Ein neuartiger Computervirus, im Stande, fast alle Sicherheitssysteme zu überwinden, breitete sich mit verheerender Geschwindigkeit über die ganze Welt aus und legte nicht nur normale Computer, sondern auch Telefonnetze, Steuerungsanlagen und Telemetriesysteme lahm. Telefone waren gestört, der E-Mail-Verkehr zum Erliegen gekommen, das Arbeiten in den meisten Büros unmöglich. Flugzeuge mussten notlanden, Züge auf offener Strecke stehenbleiben, die Havarie eines großen Rohöltankers war nur durch Glück verhindert worden. Weltweit stellten Börsen den Handel ein und Banken den Zahlungsverkehr. Bargeldautomaten waren außer Betrieb. Es würde in den kommenden Tagen zu Versorgungsengpässen kommen, weil in Lebensmittellagern die Fördertechnik streikte. In vielen Fabriken weltweit stand die Produktion still. Der Schaden belief sich auf Milliarden von Dollar.
Fabian saß da, hörte alles und hatte das Gefühl, bis in die letzte Zelle seines Körpers zu Eis zu werden. Es kam ihm immer noch vor wie ein Traum, und er war so müde, so furchtbar müde, aber er begriff, dass es kein Traum war, sondern die Wirklichkeit. Etwas, das er angerichtet hatte.
Als es später am Abend klingelte und seine Mutter gleich darauf mit flackernder Panik in der Stimme rief: »Fabian? Kommst du bitte?«, da wusste er, dass es nur die Polizei sein konnte, und war beinahe erleichtert.
Das Gesicht eines Mannes, der einen weißen Kittel trug und weiße Haare hatte, war das Erste, was Amaryllis sah, als sie zu sich kam. Es lächelte wohlwollend, das Gesicht. Vielleicht war doch alles nicht so schlimm, wie es sich anfühlte.
»Sie werden es überstehen, Fräulein Weber«, sagte der Mann mit gemütlich klingendem österreichischem Akzent. »Das Blut, das wir Ihnen geben mussten, war bedauerlicherweise nicht ganz genau die richtige Sorte. Unser Labor war komplett ausgefallen, wissen Sie? Oh, die Blutgruppe hat gestimmt, das können wir alten Ärzte gerade noch von Hand. Aber die ganzen anderen Faktoren, die es da zu beachten gibt … Na ja, wie gesagt, Sie werden es überstehen. Nach so viel Glück, wie Sie trotz allem gehabt haben.«
»Was ist passiert?«
»So genau weiß ich das auch nicht«, sagte der Arzt. »Man könnte allerdings fast glauben, dass es etwas mit Ihnen zu tun hat.« Er zog ein klobiges medizinisches Gerät heran, das mit zwei Kabeln in der Wand steckte, und drehte es so herum, dass sie den Bildschirm sehen konnte.
Amaryllis, ich liebe dich. Fabian war darauf zu lesen, in dicken, klotzigen Buchstaben.
Sie begleiteten ihn bis zur Tür des Krankenzimmers, zwei Beamte in dunklen Mänteln, unter denen sie Pistolen trugen. »Keine Tricks«, sagte der eine, als Fabian die Hand auf die Klinke legte, und die Schwester sagte: »Zehn Minuten. Höchstens.«
Es war ein Einzelzimmer. Amaryllis legte die Zeitschrift weg, in der sie gelesen hatte. »Hallo«, sagte Fabian und nestelte das Papier um die Blumen weg, zu denen Mutter ihm geraten hatte. »Hier. Die habe ich … die sind für dich.«
»Setz dich doch«, sagte Amaryllis.
»Vielleicht soll ich eine Blumenvase …?«
»Das macht die Schwester nachher. Setz dich.« Sie nahm ihm den Strauß ab und legte ihn auf das Tischchen neben dem Bett. Sie trug ein hellblaues Nachthemd und einen dünnen weißen Pullover darüber und sah gut aus, abgesehen von dem dicken Verband um das Bein und die Hüfte, den man unter der Bettdecke ahnte, und den Schläuchen und Beuteln am Bett, in die rote und hellgelbe Flüssigkeiten tropften.
Er setzte sich also. »Deine Eltern haben mir gesagt, dass du aus Österreich zurückverlegt worden bist, und da wollte ich … na ja … ich wollte dir sagen, dass es mir leidtut. Alles. Das mit dir besonders. Das wollte ich nicht.«
»Und ins Fernsehen, wolltest du das?«
»Auch nicht.«
»Wär ja auch noch schöner gewesen.« Sie zog sich die Decke zurecht. »Was werden sie denn jetzt mit dir machen? Köpfen?«
Fabian betrachtete seine Hände. »So ein berühmter Anwalt aus München will mich verteidigen. Er meint, ich komme vielleicht mit ein paar
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