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Eine unberührte Welt - Band 6 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 6 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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überzeugen, dass Lisere in Wirklichkeit ein Mann ist?«
    Adison schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, lass mich. Was soll das alles? Wieso bin ich hier? Angenommen, es stimmt, was du mir sagst – wozu hat man mich dann aufgetaut?«
    »Sie wollten Gesellschaft. Die, mit denen du zu tun hattest. Es war ihnen langweilig geworden mit den anderen, und sie wünschten sich jemand Neues.« Cohanur machte eine Handbewegung, die niedrige Halle voller grauer Vorhänge, in der sie standen, umfassend. »Es sind nicht mehr viele Menschen übrig, und es werden keine mehr geboren. Die Eingefrorenen aufzutauen war der einzige Weg, noch ein bisschen Abwechslung zu bekommen.«
    Ein furchtbarer Verdacht kam ihm. Adison sah an sich herunter, da, wo es sich nass anfühlte unter den Binden über seinem Bauch. Er schob sie beiseite und sah mit einem elendem Gefühl die Geschwüre, die durch seine Bauchdecke brachen. »Ich bin nicht geheilt«, sagte er. »Man hat mich aufgetaut, und ich bin immer noch todkrank.«
    »Ja«, nickte Cohanur. »Und wir schreiben auch nicht das Jahr 3000. Ich weiß nicht mehr genau, welches Jahr wir haben, aber es müsste so um 2100 herum sein.«
    »Also habe ich nur hundert Jahre übersprungen statt tausend.«
    »Komm. Ich will dir zeigen, was du übersprungen hast.«
    Adison schleppte sich, mit Cohanurs Hilfe, eine frostkalte, stinkende Treppe hoch in einen kleinen Raum, in dem ein Bett stand, ein Tisch und ein Stuhl, auf den Cohanur ihn setzte. »Hier wohne ich«, sagte er.
    Adison sah sich mit Grauen um. In einem Eck waren große, vonRostflecken übersäte Konservendosen aufeinandergestapelt. Aus einem Rost im Boden unter dem Tisch kam warme Luft, die nach Maschinenöl roch. Die gegenüberliegende Wand schimmelte.
    Cohanur machte sich an einer Kurbel in der Wand zu schaffen. »Wir haben es nicht geschafft, weißt du? Wir wussten schon vor hundert Jahren, dass es nicht so weitergehen konnte, aber wir haben es nicht geschafft, etwas zu ändern. Bis es zu spät war. Bis uns alles überrollt hat.« Mit der Kurbel hob er die stählerne Abdeckung, die vor dem einzigen Fenster im Raum herabgelassen war, und Adison konnte hinaussehen.
    Entsetzen stieg in ihm auf, das ihn schier zerreißen wollte. Die schlimmsten Prophezeiungen, die er in seinem alten Leben gehört hatte, waren Wirklichkeit geworden. Das, was er sah, ließ keinen Zweifel daran. Er sah ein weites, totes Tal, sah Sand und Steine und schlierige, giftfarbene Pfützen, sah dunkel kochende Wolken, über einen unbarmherzig flirrenden Himmel ziehend, von dem eine unmenschliche Sonne herabbrannte mit mörderischer Kraft. Er sah eine Landschaft des Todes, düster und hoffnungslos wie ein Gemälde der Hölle, und alles war so fremd, so feindlich, dass er nicht fassen konnte, dass dies noch die Erde sein sollte.
    »Wir haben irgendwann aufgegeben. Die virtuellen Welten waren keine Lösung, aber eine Fluchtmöglichkeit. Immer mehr Leute haben sie der Realität vorgezogen. Sie waren es müde zu kämpfen, gegen das Unausweichliche anzurennen. Die Technik wurde fortentwickelt. In den virtuellen Welten wurde immer mehr möglich, in der realen Welt immer weniger. Irgendwann gab es die ersten, die ganz ›umsiedelten‹, wie man das nannte – die sich mit Computersystemen verbanden in der Absicht, sich ihr restliches Leben lang nicht mehr auszuklinken.« Cohanurs Stimme wurde dünn und flach. »Und hier sind wir nun. Vielleicht sind wir die letzten Menschen, vielleicht gibt es irgendwo noch welche, es spielt keine Rolle. Die meisten haben vergessen, dass sie in einer künstlichen Welt leben, und ich gehe zwischen ihren nutzlosen, träumenden Leibern umher und warte darauf, dass einer von ihnen stirbt. Ich schaue ihnen zu, wie sie verlöschen, und räume fort, was übrig bleibt. So vergeht die Zeit, ich zähle nicht mehr die Tageoder Jahre, ich warte nur und versuche zu verstehen, was das nun alles sollte mit uns Menschen. Wozu wir existiert haben. Wozu wir auf diesem Planeten entstanden sind und gelebt haben, um ihn genauso tot zurückzulassen, wie es der Rest des Universums auch ist.«
    Er schwieg.
    »Warum hast du mir das gezeigt?«, fragte Adison. Seine Lippen fühlten sich verdorrt an, er glaubte den Geschmack von Schimmel und Urin auf der Zunge zu spüren. »Wozu? Ich kann doch auch nichts mehr daran ändern. Warum hast du mich nicht einfach gelassen, wo ich war?«
    Cohanur beugte sich zu ihm herab, und zum ersten Mal erkannte Adison ein Gefühl in dessen Augen:

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