Eine unberührte Welt - Band 6 (German Edition)
sich herunter. Wie sah er bloß aus? Wie eine Wasserleiche, die zufällig noch lebte. Wie eine Mumie bei der Einbalsamierung. Sein Körper war in etwas gehüllt, das aus verstaubten Säcken gemacht zu sein schien, und er war über und über eingeschmiert mit einer weißen, talgigen Paste. Die Liegestatt, auf der er saß, war ein modriges Feldbett, und das, was da am Kopfende stand, dieser hellgraue, summende Kasten mit Schlitzen, in denen dicke Staubwürste festhingen …
»Ein Computer«, bestätigte Cohanur. Er hob eine Haube hoch, die verdammt so aussah, als passe sie zu den Kontaktstiften, die er vorhin auf seinem Schädel ertastet hatte. »Du warst an einen Computer angeschlossen. Die Welt, in der du gelebt hast, war nur virtuell.«
»Was? Aber … ich war doch eingefroren, oder? Man hat mich aufgetaut?«
»Ja. Du warst eingefroren. Man hat dich reanimiert. Aber man ließ dich in der virtuellen Welt erwachen.«
»In der virtuellen Welt …?« Adison sah sich schwerfällig um. Der Boden war uneben, fleckig, zerschrammt. Das Licht, das von irgendwoher kam, flackerte unmerklich. Alles war so hässlich wie Cohanur selber. »Elea hat mich vor dir gewarnt«, sagte er und fasste den Mann in seiner dunklen Kluft ins Auge. »Sie hat gesagt, dass deine Albträume täuschend echt wirken. Aber das hier sieht alles aus wie du – hässlich, heruntergekommen, widerwärtig. Das verrät dich.«
Ein Zucken setzte sich in Cohanurs linkem Auge fest. »Glaubst du? Sei nicht dumm. Wie war denn die Welt beschaffen, die du immer noch für die wirkliche hältst? Riesige Räume. Atemberaubende Gebäude. Schwebende Städte, wie großartig. Wände aus Marmor, die man in Wände aus Holz oder Glas oder Jade verwandeln kann. War das subatomare Manipulation? Unfug – simple Computergrafik. Es gibt kein Nährgas – du wurdest hier künstlich ernährt, und auch die Abfallprodukte deiner Verdauung wurden abgeleitet. Die Kapazität des Computersystems hätte nicht ausgereicht, auch noch Nahrungsmittel in der nötigen Detailtreue darzustellen. Deswegen sahen die Bäumeaus wie geklont – weil es nur eine Hand voll Varianten gibt. Deswegen gab es keine Vögel, keine Tiere, kein Laub auf den Wegen. Das hätte das System überfordert.«
»Die Tiere können ausgestorben sein. Die Bäume können tatsächlich geklont sein. Ich glaube dir nicht. Das war kein Computerspiel. Es war alles wirklich, was ich erlebt habe.«
»Was glaubst du denn – seit du eingefroren wurdest, haben wir die Technik natürlich weiterentwickelt. Enorm weiterentwickelt.« Cohanurs Blick wanderte in eine ungewisse Ferne. »Zuletzt haben wir fast nichts anderes mehr getan.«
»Was ist mit Sex?«, fragte Adison. »Ich hatte Sex. Jede Menge Sex. Wie willst du das erklären?«
Cohanur sah ihn wieder an, winkte ab. »Ach was. Eine direkte Verbindung zwischen deinem Thalamus und dem des anderen, das ist die einfachste Sache der Welt.«
»Den anderen?« Adison horchte auf. »Es gibt also andere?«
»Natürlich. Komm, sieh sie dir an.«
Cohanur half ihm, aufzustehen, und obwohl es ihm unangenehm war, musste er sich von ihm stützen lassen. Sie wankten ein paar Schritte bis zu einem grauen Vorhang, den der Mann mit der freien Hand beiseitezog.
Zuerst erkannte Adison überhaupt nichts, und als ihm klar wurde, was er sah, wurde ein Brechreiz schier übermächtig. Es war ein bleicher, aufgedunsener Leib, vage erkenntlich als der einer Frau, der da auf einer Liege lag wie verdorbener Hefeteig. Die Bänder und Tücher, mit denen sie umwickelt gewesen war, klafften auf, enthüllten knotige Brüste und verfaulende Finger, die geschlossenen Augenlider waren verschwollen und vereitert, der halb offene Mund vertrocknet. Und doch zuckte es in diesem Leib, erschauerten die deformierten Fleischmassen von wilden Träumen. Sie lebte, lebte in der Illusionswelt, die ihr die Haube auf dem haarlosen Kopf vermittelte.
»Du kennst sie«, sagte Cohanur. »In der Welt, aus der ich dich geholt habe, trägt sie den Namen Nykis.«
»Nykis!«
»Jemanden wie sie«, fuhr Cohanur fort, »kann man natürlich nie mehr aufwecken. Sie muss in der virtuellen Welt leben, bis ihr Körper endlich versagt.«
Adison musste sich abwenden. Nykis, großer Gott. Er hatte mit dieser Frau geschlafen, besser gesagt, mit ihrem schlanken, ebenmäßigen virtuellen Bild, einer rothaarigen Schönheit, verlockend wie eine Göttin.
»Soll ich dir Elea zeigen?«, fragte Cohanur. »Oder Waanu? Willst du dich davon
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