Eine unberührte Welt - Band 6 (German Edition)
Sehnsucht. Verzweiflung. »Du wirst sterben, Jim Adison«, sagte der hässliche Mann. »Es ist unausweichlich. Ich habe dich befreit, damit du im Bewusstsein der Wahrheit sterben kannst.«
»Ist das alles?«
»Das ist die einzige Hoffnung, die uns bleibt: dass auch diese Wirklichkeit Illusion ist und der Tod nichts weiter als ein Erwachen – ein Erwachen in eine Welt, die wahrhaftig ist und vollkommen.«
Adison wich zurück, vor seinem Geruch, seinem Atem, seiner Nähe. »Und wenn die nächste Welt noch schlimmer ist als diese?«
»Wie könnte eine Welt noch schlimmer sein als diese?«
»Wieso setzt du deinem Leben nicht selbst ein Ende, wenn du dir so sicher bist?«
Cohanur zögerte. »Ich sehe ihnen zu, wie sie sterben, gefangen in der virtuellen Welt. Man sieht nicht, was geschieht. Aber du bist wach. Bitte lass mich zusehen, wenn du stirbst. Vielleicht erhasche ich einen Blick darauf, wohin es dabei geht.«
Adison sah an sich herab, betrachtete die Geschwüre, vor denen er einst geflohen war. »Ich nehme an, es hat keinen Sinn, dich zu fragen, ob du mich wieder einfrieren kannst.«
»Nicht den geringsten. Die Geräte dazu existieren nicht mehr. Und selbst wenn – die Energie der Kühlanlagen wird versiegen, und niemand wird da sein, dich ordnungsgemäß wiederzubeleben.«
Adison nickte. Das hatte er erwartet. Er stand mühsam auf, hielt sich am Tisch fest. »Dann bring mich hinunter«, sagte er. »Schließ mich wieder ans System an.«
»Nein. Geh nicht.«
»Vielleicht kann ich es auch selbst tun.«
Cohanur packte ihn bei den Schultern. »Du belügst dich. Du flüchtest nur vor dem Unausweichlichen, ist dir das nicht klar?«
Adison schob ihn von sich fort. »Lass mich in Ruhe. Schließ mich wieder an das System an, und komm nie wieder in meine Nähe.«
Der alte Mann in den schwarzen, zerrissenen Kleidern schien ein Stück zu schrumpfen. »Gut«, sagte er dann. »Wie du willst.«
Er erwachte, gehalten, geborgen. Das Licht in seinen Augen brannte. Er langte mit tränenden Augen um sich, fühlte weiches Fleisch, samtenen Stoff, erkannte Elea, die ihn hielt.
»Bin ich wach?«, fragte er.
»Ja«, sagte sie.
Er zog sie zu sich herab, fuhr ihr durchs Haar, roch daran, den Duft nach Sandelholz und Meereswinden, atmete, spürte seine Lungen, seine Brust sich heben und senken. Er küsste sie, versank in der Süße ihrer Lippen, verschlang ihre Zunge, spürte lebendige Leidenschaft im ganzen Körper aufwallen wie Blasen in Wasser kurz vor dem Sieden.
»Wie lange habe ich geschlafen?«, wollte er wissen, als sie sich wieder losließen.
»Die ganze Nacht, und den Morgen über …« Elea sah ihn forschend an. »Du hast geträumt. Es war Cohanur, nicht wahr?«
»Ich erinnere mich an einen Traum«, sagte er. »Einen schrecklichen Traum. Das Schrecklichste war, dass ich im Traum glaubte, wach zu sein.« Adison schüttelte den Kopf. »Und jetzt? Bin ich jetzt wach, oder träume ich? Träume ich wieder, wach zu sein? Ich weiß es nicht. Ich meine, eines von beiden muss ein Traum gewesen sein, und das andere …«
»Adison«, sagte Elea. »Komm zu dir. Sieh mich an. Es war nur ein Albtraum, den Cohanur dir geschickt hat.«
Er sah sie an, ihre dunklen Augen, ihre reine Haut, ihr elfenhaftes Haar. »Ja«, sagte er. »Du hast recht. Es war ein Albtraum. Und er war wirklich schrecklich, seelenzermalmend schrecklich, genau wie du es gesagt hast. Aber es war nur ein Traum, der mir nichts antun kann …« Er holte tief Luft, reine, kühle Luft, und blinzelte empor in die herrlich blaue Himmelskuppel, ins Licht der Sonne, die strahlte wie das Leben selbst.
© 1999 Andreas Eschbach
Das Wort
Die folgende Story beruht auf einer kleine Idee, die wiederum geboren ist aus einer Verärgerung über all den Schindluder, der – vornehmlich in dem Land, in dem 90% aller Anwälte dieses Planeten leben, den USA – mit dem Urheberrecht getrieben wird. Eine der wenigen Geschichten, die ich einfach so niedergeschrieben habe, ohne Anfrage, Auftrag oder sonstigen konkreten Anlass. Sie lag sozusagen noch in der Schublade, als ein Fanzine anfragte, ob ich noch etwas in der Schublade hätte.
Derartige Anfragen sind übrigens längst zwecklos: Meine Schublade ist leer und wird anderweitig genutzt. Alle Sachen, die ich früher geschrieben und inzwischen noch nicht veröffentlicht habe, verwahre ich andernorts mit dem Ziel, zu verhindern, dass es jemals zu einer Veröffentlichung kommt. Denn dazu taugen sie nicht.
Vor einigen
Weitere Kostenlose Bücher