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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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leise, »dies ist der Jupitermond Europa. Ich sitze auf einer hundert Kilometer dicken Eisschicht. Wasser ist nicht das Problem.«
    Sie hörte ihn schlucken. Sie kannte Marko Esteban von einem der Lunartreffen – ein junger, drahtiger Frachterkommandant mit Ehrgeiz nach mehr. Sie sah ihn beinahe vor sich.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er verlegen. Dann, nach einer Pause: »Ich gebe die Werte weiter. Wir rechnen das durch.«
    Es sollte beruhigend klingen, aber es klang nicht mehr beruhigend. Joan spürte die Angst wie einen dicken, zähen Klumpen im Bauch. Sie atmete tief ein. Die kalte Atemluft biss in der Nase.
    »Marko«, fragte sie und wunderte sich über die Ruhe in ihrer Stimme, »ihr werdet es nicht mehr rechtzeitig schaffen, nicht wahr?«
    »Wie gesagt, wir müssen alles nochmal durchrechnen …«
    »Marko-«
    Pause. Lange, abgrundtiefe Pause zwischen den Sternen. Dann hörte sie Schmerz in der Stimme von Commander Marko Esteban. »Sie haben recht«, sagte er. »Wir werden es nicht mehr rechtzeitig schaffen.«
    Joan schloss die Augen, ließ ihren Kopf nach vorn sinken, bis die Stirn das kalte Plastik des Kommunikators berührte. In ihr verkrampfte sich alles, sodass sie einen Augenblick fürchtete, sich übergeben zu müssen. Dann ließ es nach. Mehr noch, der Klumpen in ihrem Bauch schien zu schrumpfen, wich einem gelösten, warmen Gefühl. So, als habe ihr Körper eingesehen, dass Angst nichts mehr nützen würde. Die Gesetze der Himmelsmechanik waren unerbittlich in ihrer Klarheit und Berechenbarkeit, und die interplanetaren Flüge waren diesen Gesetzen unausweichlich unterworfen. Der Zeitpunkt, an dem die HOMELAND nach einem Flug über Millionen von Kilometern in die Umlaufbahn um Europa eintreten würde, ließ sich auf die Minute genau vorherberechnen, und nichts in der Welt vermochte an diesem Flugplan etwas zu ändern.
    »Joan?«
    Sie hob den Kopf wieder. »Ist in Ordnung«, flüsterte sie, räusperte sich und wiederholte: »Es ist in Ordnung, Marko. Im Grunde habe ich es die ganze Zeit gewusst.«
    »Es tut mir so leid …«
    »Und mir erst.«
    Schweigen. Er schien etwas sagen zu wollen, wusste aber nicht, was. Plötzlich merkte sie, dass sie eigentlich nur ihm zuliebe wartete; dass sie das Bedürfnis hatte, eine Weile mit sich allein zu sein und kostbare Augenblicke ihres Lebens opferte, weil er sich unwohl fühlte. »Marko«, sagte sie also, »ich schalte jetzt ab. Ich denke, ich melde mich später noch einmal. Machen Sie’s gut.«
    »In Ordnung.« Er schien erleichtert. »Sie auch.«
    Sie schaltete das Gerät ab, legte es beiseite, barg das Gesicht in den Armen und ließ den Tränen freien Lauf.
    Irgendwann – Stunden später, so kam es ihr vor – sah sie sich plötzlich selbst da sitzen, in dem kleinen, aufblasbaren Rettungszelt, das kaum groß genug war, um darin zu stehen, mutterseelenallein auf der endlos weiten Oberfläche des Jupitermondes. Es war ein so seltsames Bild, dass sie aufhörte zu weinen, als erwache sie aus einem bösen Traum.
    Plötzlich hielt sie es nicht mehr aus in der dämmrigen Enge des Zelts. Obwohl es schiere Unvernunft war – jeder Schleusendurchgang verschlang kostbare Energie für die Pumpe und entließ unvermeidlich Reste wertvoller Atemluft in das Vakuum –, sie musste hinaus!
    Draußen war Nacht, aber ein abnehmender Jupiter hing riesig am Himmel, ein gewaltiger gelblicher Ball mit pastellartigen Streifen in roten und braunen Farbtönen, der die Landschaft mit samtenem Licht übergoss. Sie hätte diesen majestätischsten aller Planeten ewig anschauen können, ewig dem Spiel seiner Wolken, seiner filigranen, unablässig changierenden Wirbel folgend, das nichts ahnen ließ von der wirklichen Gewalt der Stürme, die in der Wasserstoff-Helium-Atmosphäre tobten und denen bisher kein von Menschen erbautes Raumfahrzeug standgehalten hatte.
    Aber sie würde ihn nicht ewig anschauen können. Ewig war entschieden das falsche Wort.
    Was für ein einsamer Platz dieser Mond war. Nicht einmal die Geborgenheit einer Felsnische gab es, nicht einmal eine Bergwand, hinter die man sich hätte ducken können gegen die sternenvolle Leere, in die man hinaufsah. Der Untergrund war flach von Horizont zu Horizont, eine schutzlose, nackte Ebene, auf der sie stand wie ein verlorenes Kind. Von außen betrachtet sah das Zelt aus wie ein Akt der Verzweiflung.
    Was es im Grunde ja auch war. Joan wandte sich um, setzte sich in Richtung auf die Rettungskapsel in Bewegung, mit vorsichtigen,

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