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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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dann hätte sie mehr Briefe sprechen müssen, als ihr Aufzeichnungsgerät hätte fassen können. Also beschloss sie, es ganz zu lassen.
    War sonst noch etwas zu erledigen? Ihr Testament war bei ihren Unterlagen deponiert, wie es vorgeschrieben war. Cheryl würde alles erben, und viel war es ohnehin nicht. Grob geschätzt, zwei Koffer voller Sachen und ein mageres Bankkonto. Joan knipste den Recorder wieder an. Doch, ein paar Verfügungen waren noch zu machen.
    »Noch einmal Pilotin Joan Ridgewater. Die nachfolgende verschlüsselte Aufzeichnung ist eine signierte Verfügung und stellt meinen letzten Willen dar.« Diesmal verlief die Prozedur umgekehrt. Sie gab ihren persönlichen Geheimcode ein. Dadurch wurde die Eintragung so verschlüsselt, dass sie nur mit ihrem allgemein bekannten Briefcode entschlüsselt werden konnte, was sie als Urheberin verifizierte. »Joan Ridgewater, geboren am 27. September 2063 in New London, Erde. Dies ist mein letzter Wille. In meinen auf der Lunarbasis deponierten Habseligkeiten befindet sich eine hellblaue Mundharmonika mit der Aufschrift ›Willkommen auf dem Mars‹ sowie ein Rahmen mit einer kleinen marsianischen Sandzeichnung, etwa handtellergroß. Beides soll Navigator Wladimir Jagello erhalten zur Erinnerung an unseren Urlaub ’93. Weiter müsste sich in meinen Sachen an Bord der Callisto-Station eine halbmondförmige Brosche aus Venusit finden; die soll meine Freundin, Ingenieurin Susanna Bakonde bekommen. In einer Seitentasche des großen Koffers liegt außerdem ein rotes Metalletui, das einige Briefe enthält, die ich bitte, ungelesen zu vernichten. Alles Übrige soll meine Tochter Cheryl Ridgewater erben, wie es in meinem hinterlegten Testament festgeschrieben ist.«
    Eine merkwürdige Ruhe überkam sie, als sie die Aufnahme beendete. Nun war also alles geordnet, alles weitergegeben. Nun war sie frei, zu gehen. Als ob diese materiellen Dinge sie noch in dieser Welt festgehalten hätten, selbst diese kleine Hand voll.
    Sie legte den Recorder beiseite, nahm das Kommunikationsgerät, rief die HOMELAND und ließ sich mit dem Bordarzt verbinden.
    »Doktor Wang«, fragte sie, »wie werde ich sterben?«
    Die Stimme des Arztes klang voll und dunkel, väterlich vertrauenerweckend, und der unmerkliche chinesische Akzent gab ihr trotzdem etwas Leichtes, Spielerisches. »Joan«, erklärte er, »Sie sterben an Sauerstoffmangel.«
    »Tut das weh?«
    »Nein. Sie werden nicht bei Bewusstsein sein zu diesem Zeitpunkt. Unangenehm wird es jedoch werden, kurz bevor Sie das Bewusstsein verlieren. Sie werden große Angst verspüren, wenn Ihr Körper nach Atem ringt.«
    »Was gibt es an Medikamenten?«
    »Zunächst haben Sie natürlich die Giftpille im Applikator Ihres Schutzanzugs, die einen schmerzlosen Tod herbeiführt. Abgesehen davon könnte es Ihnen helfen, wenn Sie die Beruhigungsmittel nehmen, die ebenfalls vorhanden sein sollten.«
    »Alle?«
    »Ja, nehmen Sie alle.«
    Sie zögerte, sah wieder auf die Haut ihrer Hände. Ihre Hände sahen schon richtig alt aus. Die Hände einer Sechzigjährigen. »Doktor«, fragte sie, »wann werden Sie mich finden?«
    »Sobald wir Europa erreicht haben. In etwa dreieinhalb Standardtagen.«
    »Ich habe eine Funkboje eingeschaltet.«
    »Ja. Wir empfangen bereits ihr Signal.«
    »Doktor, hätte ich eine Chance gehabt, wenn ich sparsamer gewesen wäre mit dem Sauerstoff und der Energie? Wenn ich die ganze Zeit geschlafen hätte, anstatt die Trümmer abzusuchen und stundenlang mit Callisto zu reden?«
    »Nein, Joan. Nicht einmal dann. Sie hätten schon eine Hibernation herbeiführen müssen, und dazu hatten Sie nicht die Mittel.«
    Auf eine merkwürdige Weise beruhigte sie das. Ob er wohl log, um ihr Selbstvorwürfe zu ersparen?
    »Werde ich eine Weltraumbestattung bekommen?«
    »Selbstverständlich.«
    »Und eine Namenstafel in der Ehrenhalle der Gilde?«
    »Sicher.«
    »Doktor Wang, ich habe ein paar Aufzeichnungen gemacht, für meinen geschiedenen Mann und meine Tochter …«
    »Wir werden sie weiterleiten.«
    »Gut.« Sie lauschte ihrem eigenen Atem, horchte dem Klang der Worte nach, die einzeln in einen tiefen, bodenlosen Abgrund zu fallen schienen.
    »Joan?«, hörte sie den Arzt fragen. »Kann ich sonst irgendetwas für Sie tun?«
    »Nein«, hauchte sie und sah die Feuchte ihres Atems sich in hauchfeine, nebelhafte Eiskristalle verwandeln. »Ich glaube nicht.«
    »Vielleicht möchten Sie dann die Energie im Augenblick sparen und lieber später noch

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