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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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sie ihm nur irgendeinen noch so kleinen Hinweis gegeben hätte. Einen Namen oder ein Detail, damit er sich ein Bild davon machen konnte, wer dieser Mann war. Oder wo er war. Und wenn sein Vater tot war, wollte er doch wissen, wo er begraben lag. Um seinen Namen in Stein gemeißelt zu sehen. Hat sie dich mit ihrer Sauferei aus dem Haus gejagt? überlegte er. Hast du eine andere gefunden, hast du mit ihr auch Kinder, Kinder, die besser sind als ich, und bei denen du bleiben wolltest? Weißt du überhaupt, dass es mich gibt, dass ich hier sitze, und ignorierst du mich, so wie man leichte Zahnschmerzen ignoriert? Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Dachte an das Baby unter dem Baum. Dir geht es bestimmt gut, dachte er, jetzt passen deine Eltern ununterbrochen auf dich auf. Lassen dich nicht mehr eine Sekunde aus den Augen, weder am Tag noch in der Nacht. Er sah sie vor sich, eng aneinandergeschmiegt, diese kleine heilige Dreifaltigkeit, eingehüllt in Glück und Vollkommenheit. Der heilige Bund, isoliert vom Rest der Welt. Ab jetzt war alles denkbar, konnte alles passieren. Jeder kleinste Schritt barg ein Risiko, außerhalb des Hauses befand sich die Gefahrenzone. Und er hatte ihnen diese neue Perspektive ermöglicht. Er, Johnny Beskow, hatte ihnen gezeigt, wie die Wirklichkeit aussehen konnte.
    Lange blieb er so sitzen und freute sich darüber.
    Und betrachtete seine Mutter dabei unentwegt mit den Augen eines kalten Fisches.
    Margrete war eine Woche vor dem Verbrechen unter dem Titel »Engelchen der Woche« in der Lokalzeitung abgebildet gewesen. Karsten Sundelin hatte das Bild mit seiner alten Hasselblad gemacht. Margrete saß auf dem Küchentisch und war splitternackt, abgesehen von der weißen Mütze, die mit einer Schleife unter dem Kinn festgebunden war. Ihr Körper hatte die gleiche Farbe wie das Marzipan der Firma Anthon Berg. Jetzt schlief Margrete in der Mitte des elterlichen Doppelbettes. Sie war in eine rosa Decke gewickelt und duftete frisch gebadet. Lily hatte ein paar Tropfen Babyöl ins Wasser gegeben. Dem Kind war heiß, aber Lily brachte es nicht über sich, die Decke wegzunehmen. Das kleine Paket neben ihr im Bett sah aus wie ein Kokon, und sie wollte nicht, dass das kleine Mädchen sich entwickelte, aufstand und ging.
    Aus dem Zimmer, aus dem Haus, hinaus in die Welt.
    Ihr Mann Karsten hatte den Kinderwagen zum Sperrmüll gebracht. Das Blut hatte die Matratze durchtränkt und ließ sich nicht abwaschen. Glitschig wie Öl und mit einem widerlichen Fischgestank. Außerdem war es ein gebrauchter Kinderwagen gewesen, den sie von einer Familie aus der Nachbarschaft übernommen hatten. Jetzt hatte Karsten einen neuen gekauft. Er war mit dunkelrotem Samt ausgeschlagen, das teuerste Model von Emmaljunga. Für Margrete nur das Beste, fanden sie, nach allem, was geschehen ist.
    »Sie kann doch von jetzt an auf der Veranda schlafen«, schlug Karsten vor. »Dann siehst du den Wagen vom Fenster aus.«
    Lily streichelte Margretes Wange. Bei der Berührung zitterten die Augenlider des Kindes.
    »Wir werden sehen«, erwiderte sie nur.
    Sie hatten das Kind zwischen sich liegen. Sie stützten sich beide auf den Ellbogen, bildeten so einen Schutzwall gegen die Welt, und Margrete lag in der Mitte wie eine Erbse in der Hülse.
    Ihr Atem ging schnell und leicht. Sie war einzigartig.
    »Weißt du, was ich machen werde, wenn ich ihn erwische?«, fragte Karsten.
    Er redete mit zusammengebissenen Zähnen. Lily wollte es gar nicht hören. Sie machte sich an der rosa Babydecke zu schaffen, die sollte glatt und straff liegen. Sie beantwortete die Frage ihres Mannes nicht. Etwas Böses war aus dem Wald in ihr Leben gekommen, und jetzt wuchs auch in dem Mann, den sie geheiratet hatte, etwas Böses heran.
    »Ich werde ihm die Arme abreißen«, sagte Karsten. »Und die Beine. Er ist nicht mehr wert als ein Insekt.«
    Lily drehte sich auf den Rücken. Sie starrte die Decke an, betrachtete den Boden des Lampenschirms und sah, dass darin tote Fliegen lagen.
    »Können wir etwas übersehen haben?«, flüsterte sie. »Etwas, das wir getan oder gesagt haben?«
    Auch Karsten drehte sich auf den Rücken. Bei dieser Bewegung seufzte Margrete auf, und das Bett knackte ein wenig, denn Karsten war schwer. »Was soll das heißen?«, fragte er. »Meinst du damit etwa, dass wir das verdient haben?«
    Lily biss sich in einen Fingerknöchel. Der erste Schock hatte sich gelegt. Sie waren wieder zu Hause, und es war ein bisschen Zeit

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