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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Sie ist aber auch noch sehr jung, dachte Sejer. Das Namensschild an ihrem grünen Kittel verriet, dass sie Britt hieß. Sie tippte die Preise in die Kasse, für die Zeitungen und die Tüte mit den beiden Frikadellen. Für die Postkarte mit dem Luchs bezahlte er sieben Kronen und fünfzig Öre. Er gab Frank eine von den Frikadellen. Dann setzte er sich ins Auto und blätterte die Zeitungen durch.
    »Blutiges Baby im Garten gefunden!«
    »Grotesker Scherz in Bjerketun.«
    »Schlafendes Baby mit Blut übergossen.«
    Der Täter möchte gerne im Rampenlicht stehen, dachte Sejer. Und jetzt bekommt er seinen Applaus.
    Er biss kleine Stückchen von der Frikadelle ab und starrte aufs Wasser. Wie eine Spiegelfläche erstreckte es sich. Und die Enten dümpelten weit draußen, in unerschütterlicher Ruhe.
    »Das war eine verdammt gute Frikadelle, Frank«, sagte er. Dann nahm er das Telefon aus der Tasche und wählte Skarres Nummer.
    »Es wird noch weitere Anschläge geben«, sagte er. »Wir haben es mit einem Raubtier zu tun.«
    J ohnny Beskow bog mit seiner Suzuki auf die Straße ab.
    Er schaltete einen Gang höher und knatterte davon, sein Kopf war leicht und er war frei wie ein Vogel. Auf dem Kopf trug er den roten Helm, der auf beiden Seiten mit einer kleinen goldenen Schwinge verziert war. In seinem Gürtel steckte ein Schweizer Messer. Mit diesem Messer könnte er stechen und schneiden, eine Flasche Cola öffnen oder seiner Mutter die Zunge aus dem Hals schneiden, wenn ihn das Böse packte. Ohne dieses Messer ging er nirgendwo hin. Es war eine Erleichterung, das Haus zu verlassen, den Gestank hinter sich zu lassen, den Müll und die Alte, die nur herum torkelte und lallte. Er fuhr gern mit seinem Moped, liebte die Geschwindigkeit und den Fahrtwind im Gesicht. Während er dahin brauste sah er die Gesichter der Leute vor sich, wenn sie in der Zeitung über die Geschichte in Bjerketun lasen. Er stellte sich ein gewaltiges Register aus Entsetzen und Grauen und Wut vor. Zornige Männer, empörte Frauen, wütende Alte. Bei diesem Gedanken musste er lächeln. Fast hätte er in die Hände geklatscht, aber er fand es doch klüger, sie auf dem Lenker liegen zu lassen. Die Leute sollten nicht in dem Glauben bleiben, das Leben sei eine Selbstverständlichkeit, sie sollten nicht einfach davon ausgehen, dass das Gute von ewiger Dauer war.
    Der Tod holt alle.
    Und ich werde es ihnen verdammt noch mal vor Augen führen.
    Er hielt an der Tankstelle unten in Bjerkås an und kaufte ein paar Zeitungen. Neben der Tankstelle gab es eine kleine Kneipe mit Resopaltischen und Spielautomaten, er war gerne dort und bestellte sich eine Cola. Es fühlte sich gut an, einfach herumzulaufen, ohne dass die Leute wussten, wer er war. Es fühlte sich gut an, der zu sein, über den alle redeten, und dabei mitten unter ihnen zu sein und dennoch anonym zu bleiben. Er setzte sich auf die Bank vor der Tankstelle und überflog die Zeitungsberichte. Karsten Sundelin aus Bjerketun hatte sich von Verdens Gang interviewen lassen und drohte, dass sich die Person, die hinter diesem widerlichen Angriff auf seine Familie stünde, keine Sekunde lang mehr sicher fühlen sollte.
    »Wie ist das zu verstehen?«, fragte der Reporter von VG .
    »Das kann man nicht drucken«, antwortete Sundelin.
    Johnny faltete die Zeitungen zusammen und legte sie in das Fach unter dem Mopedsattel. Dann startete er den Motor und fuhr weiter. ›Das kann man nicht drucken.‹ Ha!, dachte er, ja, jetzt hab ich aber Schiss, Mann. Nach einigen Kilometern kam er zu dem See Sparbodam. Er bog nach rechts ab und legte das letzte Stück auf einem schmalen Waldweg zurück, stieg vom Moped und lehnte es an eine Tanne. Dann ging er zum Wasser hinunter. Der Sparbodam war ein Stausee. Der Damm verlief mitten durch den See und in der Mitte befand sich ein Tor mit einem schwarzen Rohr, das unentwegt Wasser einsog. Von dort war ein starkes, andauerndes Donnern zu hören. Gerüchte behaupteten, einmal sei ein Jugendlicher auf dieser Mauer herum balanciert. Es war wohl im Mai gewesen, so kurz vor dem Abitur. Es hatte sich um eine Mutprobe gehandelt. Aber er rutschte aus, stürzte ins Wasser und wurde in das Rohr hineingezogen. Sein Leichnam wurde erst mehrere Kilometer flussabwärts gefunden. Johnny blieb eine Weile am Ufer stehen und betrachtete die Landschaft, das glitzernde Wasser, den stummen Wald. Dann machte er ein paar vorsichtige Schritte auf der Mauer. Sie war etwa vierzig Zentimeter breit und man konnte

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