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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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gegessen. Mit Pommes und Remoulade.«
    Sie blinzelte verwirrt. Dann lachte sie nervös.
    »Einen Cheeseburger? Stimmt das?«
    Sejer nickte.
    »Na ja«, sagte Ingrid. »Aber es kommt doch darauf an, was er jeden Tag tut.«
    Sie machte einen Schmollmund, wie ein beleidigtes Kind.
    »Aber ich gebe mir doch solche Mühe«, sagte sie, »und koche ihm das Essen, um das er mich bittet. Und dann geht er mit dir zum Imbiss? Ich muss schon sagen. Was für ein Verräter. Und du bist auch einer.«
    »Aber das ist doch das Privileg des Großvaterseins«, erwiderte Sejer lächelnd. »Ich bin die Ausnahme von all den strengen Regeln.«
    »Manchmal wünsche ich, er fiele hin und bräche sich das Bein«, gestand sie.
    Sejer machte große Augen.
    »Denn dann müsste er still in einem Sessel sitzen bleiben«, erklärte sie. »Und sich ausruhen. Jeden Tag, wochenlang.«
    Sejer schüttelte den Kopf.
    »Du wirst Matteus nicht an einen Sessel fesseln können«, sagte er. Sie seufzte, wie Mütter das tun, wenn sie sich über Kleinigkeiten Sorgen machen.
    »Vergiss nicht, was du in dem Alter getan hast«, erinnerte er sie. »Du hast hier alles stehen und liegen lassen und bist in ein fremdes Land gegangen, in dem Bürgerkrieg herrschte. Du hast Komfort und Bequemlichkeit und alles, was Sicherheit bietet, aufgegeben. Ich weiß nicht einmal so genau, was du da unten gemacht hast, und ich glaube, ich will es auch nicht wissen. Und dann hast du Matteus gefunden und mit nach Hause gebracht. Und auch er hat kein Interesse an Bequemlichkeit. Er setzt sich dem täglichen Training, Unbehagen und Schmerzen aus. Aber er ist zufrieden. Oder ist er etwa nicht zufrieden, Ingrid?«
    »Hast du seine Füße gesehen?«, fragte sie.
    »Nein.«
    »Ja, dann lass sie dir auch nicht zeigen«, sagte sie. »Denn diesen Anblick wünsche ich keinem. Niemand hat eine Vorstellung davon, was Ballett bedeutet«, klagte sie. »Die Leute sehen nur, wie andere über den Boden schweben, und es sieht so leicht aus. So rein und fein und schön. Aber dahinter stehen Schufterei und Qualen.«
    »Aber Ingrid!«, sagte Sejer.
    Sie ging zum Spülbecken und ließ Wasser in eine Kanne laufen.
    »Hast du Angst, dass er die Rolle in Schwanensee nicht bekommt?«, fragte er.
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Ja, ich glaube, schon.«
    »Dann sind wir schon zu zweit«, gab er zu. »Und jetzt setz dich. In weiten Teilen der Erde herrscht Krieg. Da dürfen wir doch nicht hier herumsitzen und jammern.«
    Sie goss zwei Gläser Wasser ein und lächelte dabei.
    »Und bei dir, Papa? Wie läuft es so bei dir?«
    Er nahm einen Schluck Wasser.
    »Sei ehrlich«, sagte sie. »Denkst du oft an Mama?«
    Er setze das Glas knallend auf den Tisch zurück.
    »Ich denke nicht so viel an sie«, gab er zu. »Aber die Erinnerungen sind die ganze Zeit da, wie ein Geräusch im Hintergrund. Bilder von Dingen, die wir gemeinsam unternommen haben, als wir jung waren. Die Erinnerungen an die Zeit, als sie krank war. An das Schreckliche, was sie durchmachen musste. Es ist so, als würde man an einem Wasserfall wohnen. Die Jahre vergehen und das ewige Rauschen macht mich müde. Weil ich es niemals abschalten kann. Aber es war das Zuhause, das mir hier im Leben zugeteilt wurde.«
    »Das Haus am Wasserfall?«, fragte sie.
    Er nickte.
    »Und du? Wie oft denkst du an Mama? Sei ehrlich?«, tat er es ihr nach.
    Sie erhob sich und schob ihren Stuhl zurück. Sie trug eine lila Strickjacke und hielt sich sehr gerade, genau wie ihre Mutter das getan hatte. Außerdem hatte er eine Entdeckung gemacht, die neu war. In ihren blonden Haaren hatte er einige silberfarbene Strähnen ausgemacht. Das stimmte ihn augenblicklich wehmütig. Ingrid, seine Tochter, sein kleines Mädchen, bekam graue Haare.
    »Ich denke nicht so oft an Mama«, gab Ingrid zu. »Ich war ja noch so klein.«
    Er erwiderte nichts.
    »Aber seit ihrem Tod, habe ich mich voll und ganz auf dich konzentriert«, sagte sie. »Ich musste immer wissen, wo du warst. Wie es dir ging. Ich habe die ganze Zeit auf deine Schritte und deine Stimme geachtet. Musste überprüfen, ob du noch am Leben warst. Verstehst du, was ich damit sagen will?«
    Sie sah ihn eindringlich an, als ob sie mehr von ihm wollte als sie laut aussprach. Dann setzte sie sich wieder hin und stellte ihre Ellbogen auf den Tisch.
    »Weißt du, warum wir so eine große Angst vor dem Tod haben?«, fragte sie.
    Er wusste nicht, worauf sie hinauswollte, und wartete ab.
    »Weil wir uns für unersetzlich halten«,

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