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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Sie sah auf, als er rein kam.
    »Was hast du mit ihm gemacht?«, rief er. »Sag es!«
    Ihr Blick war teilnahmslos. Dann tippte sie mit dem Finger auf die Rechnungen und verzog müde das Gesicht.
    »Jetzt werden sie uns bald den Strom abdrehen«, murmelte sie.
    »Wo ist Bleeding Heart?«, rief Johnny.
    Sie verdrehte die Augen.
    »Meinst du die kleine Ratte?«, fragte sie. »Die ist hier rumgelaufen. Ich kann nicht zulassen, dass hier Ratten frei herumlaufen. Sie hat Leitungen und sowas angenagt, und das kann zum Kurzschluss führen, und dann brennt das ganze Haus ab. Das fändest du wahrscheinlich sogar gut.«
    Johnny zitterte am ganzen Körper. Jahre der Vernachlässigung und Schikane hatten ihn abgehärtet. Aber jetzt war das Maß voll.
    »Der ist nicht rumgelaufen«, schrie er. »Er kann ohne Hilfe nicht aus dem Käfig, die Tür ist mit einem Haken gesichert. Du hast ihn einfach rausgeholt … Sag mir sofort, wo er ist!«
    Sie schob ihre Rechnungen zusammen, stand auf und legte sie in eine Schublade.
    »Ja, was macht man mit einer toten Ratte«, sagte sie. »Was glaubst du, Johnny?«
    Er wusste, was sie getan hatte. Mit geballten Fäusten stand er da und begriff, dass sie ihm das Liebste genommen hatte, was er besaß. In diesem Augenblick erwachte das Böse in ihm. Seine Gedanken suchten die furchtbarsten Orte auf. Ich bohre dir mein Messer ins Rückgrat, phantasierte er. Damit du gelähmt bist. Damit du auf den Ellbogen herumkriechen musst, während ich auf einem Stuhl sitze und dir genau beschreibe, wie du sterben wirst. Er überlegte sich, an welcher Stelle er zustechen müsste, um den richtigen Nerv zu treffen.
    »Ich habe ihn in einen leeren Milchkarton gelegt«, sagte sie plötzlich.
    Er holte tief Luft. Ging auf sie zu, öffnete und schloss die Fäuste.
    »Und wo ist der Milchkarton?«, fragte er. »Liegt er draußen im Müll? Soll das heißen, dass Bleeding Heart im Müll liegt?«
    »Ja«, gab sie zu. »In dem Mülleimer für organische Abfälle. Ich will hier keine Ratten«, wiederholte sie. »Die stinken. Der Käfig riecht nach Pisse, Johnny!«
    Langsam verließ Johnny Beskow das Haus, ging hinunter zu den Müllcontainern, öffnete den einen und schaute hinein. Er entdeckte den Milchkarton sofort. Sie hatte ihn ganz klein zusammengefaltet, seine Hände zitterten, als er ihn öffnete. Bleeding Heart hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt und war triefnass. Sie hatte ihn ertränkt. Vielleicht im Waschbecken im Badezimmer.
    Lange blieb er so mit dem feuchten Fellball in der Hand stehen. Ich kann viel ertragen, dachte er. Jahrelang habe ich die Zähne zusammengebissen. Aber der Tag wird kommen, an dem ich mich erhebe und grausame Rache nehme. Sie weiß es nicht, aber dieser Tag ist gefährlich nahe. Ich brauche nur eine gute Gelegenheit. Die Konsequenzen sind mir egal. Vom Leben kann ich nicht viel erwarten und vom Tod auch nicht. Die Leute sollen über meine Rache denken, was sie wollen, ich werde mich nicht darum scheren, was sie davon halten. Darum bin ich auch unbesiegbar.
    Er riss sich von diesen Gedanken los und ging hinter das Haus. Holte sich einen alten verrosteten Spaten. Legte das Meerschweinchen ins Gras und fing an zu graben. Zielstrebig hob er eine Grube aus, legte das kleine Tier hinein und bedeckte es mit Erde. Dann suchte er sich einen Stein und legte ihn darüber, wie einen schweren Deckel. Ich hoffe, das ist tief genug, dachte er. Damit dich nicht der Dachs holt. Er richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er war tödlich verwundet, wollte aber nicht am Boden liegen bleiben. Er ging zu seiner Suzuki, setzte sich den Helm auf und fuhr los.
    Zwanzig Minuten später hielt er vor dem Einkaufszentrum in Kirkeby, auf einem Behindertenparkplatz, denn es bereitete ihm eine besondere Freude, gegen eine Regel zu verstoßen. Wenn Johnny gegen eine Regel verstoßen konnte, dann verstieß er gegen sie, und im Augenblick wollte er nichts sehnlichster, als unerträglich zu sein. Nach allem, was passiert war. Er fuhr mit der Rolltreppe in den ersten Stock und betrat die Zoohandlung. Eine junge Frau stand hinterm Tresen und beobachtete ihn, während sie sich an einigen Papieren zu schaffen machte. Johnny ging zuerst zu den Aquarien und bewunderte die Welse. Die Frau kam langsam in seine Richtung, sie war groß und ging nach vorne gebückt und schwankte. Sie hatte große schwere Augenlider und lange Wimpern und eine füllige Unterlippe. Das erinnerte ihn an ein Kamel. »Willst du

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