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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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sagte sie. »Aber das sind wir nicht. Es kommen laufend neue Menschen dazu. Viele sind besser als wir. Tüchtiger als wir. Stärker als wir. Hast du da schon einmal drüber nachgedacht?«
    Er nickte.
    »Du willst damit sagen, dass ich wieder hätte heiraten sollen«, sagte er.
    »Ja, vielleicht«, sie lächelte. »Du bist immer mit so wenig zufrieden.«
    Er protestierte mit einem Kopfschütteln. Er fand nicht, dass ihm etwas fehlte. Wenn ich nach Hause komme, gehe ich mit Frank spazieren, sagte er sich. Danach setze ich mich in den Sessel am Fenster und trinke einen Whisky. Ich rauche eine Zigarette, ganz langsam, und genieße jeden einzelnen Zug. Vielleicht lege ich dazu eine CD von Monica Zetterlund oder Laila Dalseth ein. Und dann gehe ich ins Bett und schlafe gut. Was kann ein Mann sonst noch vom Leben verlangen?
    Ingrid nickte zum Fenster hinüber. Ihr Gesichtsausdruck war wieder ernst.
    »Ich habe da gestanden, als du in die Straße gebogen bist«, sagte sie. »Ich habe dein Auto erkannt und habe dich die ganze Zeit beobachtet. Die ganze Zeit, Papa. Jede einzelne Sekunde.«
    Er nickte und lächelte. Aber eigentlich hatte er Angst davor, was jetzt kommen würde.
    »Ich habe gesehen, wie du ausgestiegen bist«, fuhr sie fort. »Du hast das Gleichgewicht verloren.«
    Er überlegte fieberhaft, wollte etwas Beruhigendes sagen, den Vorfall bagatellisieren.
    »Ich habe niedrigen Blutdruck«, behauptete er.
    »Niedrigen Blutdruck?« Sie schnaubte.
    »Ich hatte schon immer niedrigen Blutdruck«, sagte er. »Und wenn ich lange im Auto gesessen habe und dann schnell aufstehe … «
    »Lange im Auto gesessen? Kommst du nicht direkt von der Arbeit? Für die Strecke brauchst du drei Minuten!«
    »Mir war nur ein bisschen schwindlig«, murmelte er. »Das kommt ja wohl in den besten Familien vor.«
    »Warst du deswegen beim Arzt?«, fragte sie.
    »Ich kann doch keinen Arzt behelligen, nur weil mir ab und zu ein bisschen schwindlig wird«, widersprach er.
    »Doch. Das kannst du«, sagte sie. »Hast du vielleicht Angst vor Ärzten?«, fragte sie stichelnd.
    »Es ist so viel Nervkram, Ingrid«, klagte er. »Tests und Proben und so. Ich meine, ich habe nicht die Zeit, einen halben Tag in einem Wartezimmer herumzusitzen.«
    Sie gab auf, sank ein wenig in sich zusammen. Ihr Papa war klug und warm und großzügig, aber auch unnahbar, wenn es um ihn selbst ging.
    »Du hast Hemmungen«, behauptete sie. »Du willst dich nicht vor einem Fremden ausziehen. Auf einer Bank sitzen. Fragen über dein Leben beantworten.«
    »Ich habe ein gutes Leben«, sagte er.
    »Das weiß ich. Das muss dich auch gar nicht verlegen machen, du bist doch eigentlich ganz großartig. Aber es ist nicht in Ordnung, dass du jedesmal schwankst, wenn du aufstehst.«
    »Nicht jedesmal, Ingrid. Nur ab und zu.«
    Sie beugte sich vor und kniff ihn in die Nase.
    »Und wenn ich dich zum Essen einlade«, sagte sie. »Wenn ich frage, ob du heute Abend hierbleiben willst, dann sagst du nein. Denn du musst zu Frank nach Hause.«
    »Er ist seit heute morgen um sieben Uhr allein«, sagte Sejer.
    Er stand auf und schob den Stuhl zurück.
    »Als du klein warst«, erinnerte er sich, »hast du immer einen Handstand gemacht, um deinen Willen zu bekommen.«
    »Und es hat jedes Mal funktioniert«, sagte sie lächelnd.
    Draußen fiel die Tür ins Schloss. Matteus kam nach Hause.
    Sejer sah, dass er hinkte.
    Ingrid erwähnte den Cheeseburger mit keinem einzigen Wort.
    J ohnny Beskow besaß nicht viel.
    Seine Mutter hatte ihn nie mit Gütern überhäuft. Er besaß seine Suzuki Estilete, einen Helm und ein Paar Motorradhandschuhe mit roten Totenköpfen. Zwei Jeans und ein paar verschlissene T-Shirts, einen Kapuzenpullover und ein Paar Schuhe mit hohem Schaft, die er das ganze Jahr über trug.
    Er stand in seiner offenen Zimmertür.
    Und er spürte sofort, dass etwas sehr Wichtiges fehlte.
    Bleeding Heart war verschwunden.
    Der Anblick des leeren Käfigs stürzte ihn in Verwirrung. Er trat näher und sah hinein. Schob die Hand durch die offene Tür und hob das kleine Kunststofflabyrinth hoch, aber kein Meerschweinchen kam zum Vorschein. Er legte sich auf alle Viere und suchte unter dem Bett. Er suchte hinter dem Vorhang, unter dem Schreibtisch und unter den Kissen, er sah im Papierkorb in der Ecke nach. Bleeding Heart blieb verschwunden. Er war wie erschlagen von dieser Entdeckung. Dann drehte er sich um und ging ins Wohnzimmer. Seine Mutter saß vor einem Haufen Rechnungen in einem Sessel.

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