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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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gewesen war. Sie war ein Opfer. Sie hatte keine Wahl, sie hörte nur auf die Zeichen ihres Körpers und der tat sofort weh, wenn der Rausch ihren Körper verließ. Und dieses Gefühl, das konnte sie nicht ertragen. Sie konnte nichts verrichten, nicht gefallen, nicht dienen oder teilnehmen, sie hatte Schiffbruch erlitten. Sie hatte eine kräftige Schlagseite. Aber jetzt hatte sie ein Kleid angezogen und war stocknüchtern, zumindest glaubte sie das, sie hatte die Segel gehisst. Und ihr Ziel, dachte er, während er sie musterte, war Geld. Sie stolperte auf ihren hohen Schuhen über den Boden und er hielt den Atem an, als er sah, wie sich ihre Knöchel abmühten, um sie aufrecht und im Gleichgewicht zu halten.
    Aber bis jetzt schien alles gut zu gehen.
    Sie warf den Kopf in den Nacken. Sie strich ihr Kleid glatt. Er presste sich gegen den Türrahmen und versteckte die Schachtel hinter seinem Rücken. Der Hamster kratzte und riss an der Pappe, aber sie merkte nichts. Sie sah aus dem Fenster, betrachtete die Wolkendecke und nahm einen Mantel vom Haken an der Wand. Der Mantel war uralt, aus dünnem, graubraunem und fleckigem Kunstpelz.
    Sie zog sich vor dem Spiegel in der Diele an.
    Ja, natürlich geht es hier um Geld, ging es Johnny durch den Kopf, oder um irgendeine Unterstützung, von der sie Wind bekommen hat. Vielleicht hatte was in der Zeitung über neue Regelungen gestanden, die Regierung hat ja schließlich versprochen, den Armen zu helfen. Wenn sie bloß einigermaßen präsentabel aussah. Wenn bloß die Absätze sie lange genug trugen, wenn bloß die Leute die Rüsche unten am Kleid bemerkten. Er lehnte stumm an der Wand und lauschte ihren Schritten, dem scharfen Klappern. Die Absätze sprachen ihre eigene Sprache. Ich habe einen Anspruch darauf, sagten die Absätze energisch. Es ist ja wohl nicht zuviel verlangt, bettelten sie, das ist mein gutes Recht.
    Am Ende schnappte sie sich ihre Tasche und verschwand. Sofort lief er zum Fenster. Er blieb mit der Schachtel in der Hand stehen und sah hinter ihr her, als sie zur Bushaltestelle stolperte. Vermutlich fährt sie in die Stadt, dachte er, in irgendein Büro, und dort wird sie ein bisschen weinen. Und sich theatralisch die Tränen abwischen. Er sah, dass sie ein wenig schwankte, weil die Absätze zu hoch waren. Plötzlich wurde ihm heiß, seine Wangen fingen an zu brennen. Denn alle konnten sie sehen, die Nachbarn und die vorbeifahrenden Autofahrer. Der gesprenkelte Mantel ließ sie aussehen wie eine Hyäne, und jetzt war sie auf der Jagd nach Aas. Ohne es zu wollen, hatte er Mitleid mit ihr. In dem grellen Licht wirkte sie auf einmal so verletzlich. Das quälte und verwirrte ihn. Das Mitleid machte ihn niedergeschlagen, es machte ihn traurig und schwermütig und mutlos. Deshalb versuchte er, einen heftigen Zorn aufzubringen. Die Wut gab ihm Energie und Tatkraft. Als sie endlich nicht mehr zu sehen war, lief er in sein Zimmer, um sich den Hamster näher anzusehen. Er beschloss sehr schnell, ihn Butch zu nennen. Oder, besser noch: Der Schlächter von Askeland. Dem Hamster ging es gut. Er setzte ihn in den Käfig und Butch wirkte zufrieden in seinem neuen Zuhause. Nachdem er eine Portion Müsli gegessen hatte, ging Johnny wieder aus dem Haus und ließ zum zweiten Mal die Suzuki an. Er setzte sich den Helm auf und fuhr hinaus auf die Straße, sah hinüber zur Bushaltestelle.
    Aber die Hyäne war nicht mehr da.
    Er überprüfte den Benzinanzeiger und gab Gas. Er trug die dünnen Handschuhe mit den Totenköpfen. Die Geschwindigkeit verlieh ihm das Gefühl von Überlegenheit. Er fühlte sich unangreifbar. Schneller und klüger als alle anderen. Hier kommt Johnny Beskow, rief er innerlich, und ihr könnt gern weiter mit Klötzchen bauen, aber ich werde eure Türme einreißen. Denn so ein Kind bin ich. Ich reiße Türme ein.
    Die Straße führte durch gelbe Getreidefelder. Vorbei an der Kirche und dem Skarvesjø, durch das Zentrum von Bjerkås, weiter nach Kirkeby und am Ende nach Osten in Richtung Sandberg. Hier draußen wohnten wohlhabendere Leute. Das war den Häusern anzusehen, sie waren größer und gepflegter als die in Askeland. Große Villen. Mit doppelten Garagen, riesigen Grundstücken. Kleine alberne Springbrunnen in den Gärten, solarbetriebene Lampen in der Auffahrt. Wenn er unterwegs war, hielt er seine Augen offen und sah sich aufmerksam um. Er näherte sich dem Zentrum von Sandberg. Links führte ein mit Gras bewachsener Hang zu einer Sportanlage, rechts

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