Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
Vom Netzwerk:
denn das hier war sein Beruf, er machte es jeden Tag, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
    »Kommt da jemand?«, fragte Helge Landmark ängstlich. »Müssen die unbedingt reinkommen?«
    Seine Stimme war kraftlos.
    Astrid hielt sich an der Fensterbank fest.
    »Nein«, sagte sie schnell. »Die kommen hier nicht rein.«
    Sie war so verwirrt, dass es ihr fast die Sprache verschlagen hätte. Zugleich überfiel sie die schiere Verzweiflung, weil Helge den Versuch unternahm, seinen Rollstuhl zum Fenster zu manövrieren, obwohl das seine Kräfte überstieg.
    »Er hat sich verfahren«, sagte sie, »ich rede mal mit ihm.«
    Sie lief zur Tür. Gleichzeitig ließ sie ihren Mann nicht aus den Augen. Der Rollstuhl bewegte sich langsam auf seinen grauen Gummirädern über das Parkett.
    »Nein«, rief sie. »Bleib doch sitzen!«
    Als ob er eine andere Wahl gehabt hätte. Aber er spürte ihre Panik, er spürte, dass sie ihm etwas verschwieg, und das wollte er sich nicht gefallen lassen. Er wollte zum Fenster. Er wollte sehen, was sie sah. Er hatte die halbe Strecke zurückgelegt, als sie die Tür öffnete.
    Der Mann war in ihrem Alter. Tadellos gekleidet in einem dunklen Anzug und sehr freundlich. Er streckte ihr die Hand hin und machte eine tiefe und ehrerbietige Verbeugung.
    »Mein herzliches Beileid«, sagte er.
    »Wie bitte?«, keuchte sie.
    Er wahrte seine unerschütterliche Ruhe. Vielleicht war er dieser Verwirrung schon häufiger begegnet. Bei den Angehörigen. Wenn der Tod ins Haus gekommen war.
    »Arnesen«, sagte er. »Von Memento.«
    »Arnesen?«
    »Ich komme von Memento«, wiederholte er. »Vom Bestattungsunternehmen Memento. Ich bin Ingemar Arnesen.«
    Astrid fing an zu zittern. Gleichzeitig sah sie hektisch die Straße auf und ab, ob die Nachbarn das Auto von dort aus sehen konnten. Und was war mit Helge, hatte er das Fenster schon erreicht und sah, was da gerade geschah?
    Sie lehnte sich gegen den Türrahmen, um nicht zu stürzen.
    »Aber was wollen Sie hier?«, flüsterte sie.
    Ihr Mund war wie ausgetrocknet.
    Ingemar Arnesen vom Bestattungsunternehmen Memento hob eine Augenbraue hoch. Plötzlich befiel ihn eine Ahnung, dass da etwas nicht stimmte. Aber ihn konnte so schnell nichts aus der Fassung bringen, deshalb behielt er die Ruhe.
    »Ich bin herbestellt worden«, erklärte er, »um Helge Landmark abzuholen.«
    Er sah ihr in die Augen.
    Seine Iris war grün und groß.
    Das war zuviel für Astrid. Sie klammerte sich an den Türrahmen und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
    »Aber Helge Landmark ist nicht tot«, flüsterte sie. »Er sitzt am Fenster und sieht uns zu.«
    Arnesen schloss die Augen. Die Gedankenlawine, die dadurch ausgelöst wurde, zeigte sich in einem leichten Zucken um den Mund, und Astrid hatte fast Mitleid mit ihm.
    »Aber wer hat Sie herbestellt?«, fragte sie.
    Er öffnete die Augen und hob den Kopf. Sein Blick wanderte vom Fenster zu dem schwarzen Auto.
    »Ihr Hausarzt«, sagte er.
    »Unser Hausarzt?«
    »Dr. Mikkelsen vom Ärztezentrum Sandberg. Der Hausarzt von Helge Landmark. Er hat den Todesfall vor zwei Stunden gemeldet.«
    Sie schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Wir kennen keinen Dr. Mikkelsen«, erklärte sie. »Sein Arzt heißt Onstad. Martin Onstad. Vom Zentralkrankenhaus.«
    Sie starrte in das offene Auto und war außer sich vor Angst.
    »Da spielt uns jemand einen Streich«, flüsterte sie.
    »Es sieht so aus«, antwortete Arnesen.
    »Aber wer ist Dr. Mikkelsen? Ist das ein Arzt, den Sie kennen?«
    Arnesen sah sie hilflos an. Sie sah seine messerscharfe Bügelfalte. Die frischgeputzten schwarzen Schuhe. Das schneeweiße Hemd.
    »Uns rufen viele Ärzte an«, sagte er bedrückt. »Und immer kommen neue dazu. Und dann die vielen Aushilfen. Man kann nicht alle Namen kennen. Aber er hat mich herbestellt. Zu dieser Adresse.«
    Er machte eine hilflose Handbewegung.
    »Helge Landmark«, sagte er dann, »ist das Ihr Mann?«
    »Ja, und er ist sehr krank«, flüsterte Astrid.
    Sie fuhr zusammen, denn die Beifahrertür wurde geöffnet und ein junger Mann, ebenfalls in Schwarz gekleidet, stieg aus. Natürlich sind sie zu zweit, dachte sie, sie müssen ja etwas Schweres tragen. Nervös sah sie zum Fenster, aber die Sonne spiegelte sich in der Fensterscheibe und sie konnte nichts erkennen.
    Der junge Mann näherte sich der Treppe. Auch er begrüßte Astrid mit einer tiefen Verbeugung.
    »Ist das die falsche Adresse?«, fragte er.
    In seinem jungen Gesicht lag ein Anflug von

Weitere Kostenlose Bücher