Eine undankbare Frau
die Straße hinaus glitt, bat Helge Landmark seine Frau um einen großen Cognac.
Sie sah ihn unsicher an. Er hatte schon lange keinen Alkohol mehr getrunken, und sie hatte Angst, dass seine vielen Medikamente vielleicht für eine explosive Wirkung sorgen würden.
»Ist das denn klug?«, fragte sie vorsichtig. »Alkohol und Tabletten zu mischen?«
Landmark schlug mit letzter Kraft seine Faust auf die Armlehne seines Rollstuhls.
»Warum sollte ich mich denn bitte klug verhalten, Astrid? Kannst du mir das sagen?«
Also tat sie ihm den Gefallen. Wie ein braves Kind ging sie zum Schrank und nahm die Flasche heraus, ihre Hände zitterten, als sie das Glas einschenkte. Sie hatte ein seltsames Gefühl. Ängstlich und beschwingt zugleich.
Danach floh sie in die Küche, um den Brotteig herzustellen. Sie gab sich ausgesucht viel Mühe mit dem Teig, ihre Hände kannten keine Gnade. Da klingelte es plötzlich an der Tür, sie dachte, es sei die Polizei, und lief hin, um zu öffnen.
Aber dort stand nur ein Junge, den sie nicht kannte und der sich nach dem Weg zum Einkaufszentrum Sandberg erkundigte.
Sejer war erschüttert was diesem Ehepaar angetan worden war. Er fragte, ob sie schon einmal Opfer einer solchen Schikane geworden seien. Ob sie eine Idee hätten, wer den Wagen bestellt haben könnte. Helge Landmark brachte kein Wort heraus. Als er seine Frau um den Cognac gebeten hatte, hatte er sich stark gefühlt. Fast wie ein Mann. Vor allem nach der Begegnung mit den beiden Bestattern. Er hatte sie zum Staunen gebracht, und das hatte ihn in eine ausgelassene Stimmung versetzt. Aber die ebbte schnell wieder ab. Der Cognac machte ihn benommen. Seine Augenlider waren bleischwer und in seinem Kopf rauschte es. Der Cognac hatte ihm einen Moment der Freude verschafft, einen starken, aufmunternden Rausch, den Geschmack von Leben. Aber er hatte ihn nicht vertragen. Mit einem Schlag war er zurück in seinem Rollstuhl, nur bestückt mit dem Katheter, dem Sauerstoffbehälter und dem Mangel an Kraft. Außerdem verunsicherte ihn die Anwesenheit des Hauptkommissars. Der Mann war in seinem Alter, groß, stark und durchtrainiert, mit breiten Schultern. Er hatte noch alles, was ein gutes Leben ausmachte. Und dazu die Möglichkeit, mit Haltung und Würde alt zu werden, nicht röchelnd und schnaufend, wie er.
»Wer weiß von Ihrer Krankheit?«, fragte Sejer.
Landmark blieb weiterhin stumm. Astrid lehnte sich vor, um zu antworten.
»Das wissen doch viele«, sagte sie. »Die Familie. Und die Nachbarn.«
»Bekommen Sie regelmäßig Besuch von jemandem?«, fragte Sejer.
»Nein. Wir kommen allein zurecht. Bisher jedenfalls.«
Sie mied den Blickkontakt mit ihrem Mann. Ihre Hände lagen gefaltet im Schoß. Sie wirkte vollkommen ratlos.
»Aber wir sitzen ja oft im Garten«, fiel ihr dann ein. »Bei schönem Wetter. Und dann können uns natürlich alle sehen. Sehen, wie es uns geht.«
Sejer trat ans Fenster und sah hinaus in den Garten, der voller alter Apfelbäume, Beerensträucher und Stauden war. Vor der Hauswand stand eine Sitzgruppe und eine großer weißer Sonnenschirm. Er bat Astrid, sich die beiden vergangenen Tage ins Gedächtnis zu rufen. Anrufe, Post, Besucher. Sie schilderte ihm ihren Tagesablauf, voller Routinen und Gewohnheiten. Sie konnte sich an keine Unregelmäßigkeiten oder Besonderheiten erinnern.
»Bei uns klingeln auch nicht viele«, erklärte sie. »Höchstens mal, um etwas zu verkaufen oder um nach dem Weg zu fragen. Wir haben einen Sohn, er wohnt in Dubai und ist nicht verheiratet. Er kommt immer nur zu Weihnachten nach Hause und bleibt dann für vierzehn Tage.«
Sejer sah die beiden an. Helge Landmark wirkte unermesslich erschöpft. Immer wieder schloss er die Augen. »Was sind das für Leute, die nach dem Weg fragen?«, erkundigte sich Sejer und sah Astrid Landmark an. »Ist das kürzlich vorgekommen?«
Da erinnerte sie sich, dass es an der Tür geklingelt hatte, während sie mit dem Brotteig beschäftigt gewesen war.
»Doch ja, aber das war nur ein Junge, der sich nach dem Weg zum Zentrum erkundigt hat.«
Sejer nickte. »Ein Junge, also. Wie sah er denn aus, können Sie ihn beschreiben?«
Astrid ging die Ereignisse in Gedanken durch. Sie suchte in ihrer Erinnerung nach Bildern, stellte aber fest, dass sie nicht mehr hatte als eine Stimme, eine leise bescheidene Stimme mit einer höflichen Frage. Wer hatte da auf ihrer Treppe gestanden? Wie ist er angezogen gewesen? Warum wollte ihr nur nichts einfallen,
Weitere Kostenlose Bücher