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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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es immer sehr genau.
    »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte sie freundlich.
    »Ihr habt angerufen«, sagte Evelyn Mold. »Ihr habt angerufen und gesagt, ich sollte sofort herkommen! Und jetzt stehe ich hier. Also helfen Sie mir. Helfen Sie mir!«
    Solveig Grøner spürte, wie die Nervosität der Frau auf sie selbst übergriff. Eins nach dem anderen, beruhigte sie sich, jetzt bloß nichts falsch machen. Auf den Namen genau achten und so weiter.
    »Sie möchten jemanden besuchen?«, fragte sie noch einmal.
    Die Frau schien kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen. Ihre Geduld war am Ende, ein Wutausbruch kündigte sich an. Sie begriff nicht, warum sie nicht erwartet wurde, sie hätten doch auf sie zustürzen müssen, sie hätten in der Tür stehen und sie in Empfang nehmen müssen.
    »Francis«, sagte sie. »Meine Tochter, Francis Mold. Sie ist mit ihrem Mofa unterwegs.«
    Solveig Grøner nickte. Mofa, wiederholte sie in Gedanken.
    »Wo sollten Sie sich melden?«, fragte sie.
    »Hier«, antwortete Evelyn Mold.
    »Hier. An der Information?«
    Evelyn Mold fühlte sich auf einmal so elend, dass ihre Stimme versagte.
    »Hatte sie einen Verkehrsunfall?«, fragte Solveig Grøner.
    Evelyn Mold fing an zu weinen. Ihre Haare, die nur lose zusammengebunden waren, fielen ihr ins Gesicht.
    »Ihr habt gesagt, es sei ernst«, schluchzte sie. »Ich bin so schnell gefahren, wie ich nur konnte. Können Sie jemanden holen? Können Sie mir bitte sagen, wo ich hin soll? Sie müssen sich beeilen, sie haben am Telefon gesagt, es sei ernst.«
    Solveig Grøner nahm den Hörer und wählte eine Nummer. Sie war vollkommen verunsichert. Das hier entsprach so gar nicht den üblichen Routinen. Evelyn Mold wartete. Sie nahm alles wie durch einen Lichtschacht wahr. Sie registrierte das ansteigende und abebbende Stimmengewirr, das Klirren von Tassen und Gläsern im Café und das plötzliche, laute Rascheln einer Zeitung. Jenes Geräusch, das entsteht, wenn man sie mit Nachdruck aufschlägt, als müsste man dadurch unterstreichen, dass man gerade etwas Wichtiges gesagt hat. Dann hörte sie Solveig Grøners Stimme.
    »Francis Mold. Ja. Verkehrsunfall. Ihre Mutter ist hier. Nein, sie ist ein Teenager. Was ist los? Was sagst du da?«
    Wieder wurde es still. Evelyn wartete. Ihr brannten die Beine, so sehr wartete sie, ihr liefen die Tränen übers Gesicht, so sehr wartete sie. Gleich würde jemand angelaufen kommen, sie am Arm nehmen und sie zu ihrer Tochter bringen. Aber vielleicht war sie gerade im OP . Was für Verletzungen hatte sie sich bei dem Unfall zugezogen, die Beine, den Kopf, würde sie jemals wieder so sein wie vorher? War sie keine sechzehn mehr, war sie wieder wie eine Dreijährige, oder schlimmer noch, gab es sie gar nicht mehr? War sie nur noch eine Hülle, die zwar atmete, aber am ganzen Körper mit Schläuchen und Nadeln versehen war? Sie schlug eine Hand vor den Mund und trat nervös von einem Bein auf das andere. Sie war kurz davor, sich über dem Informationstresen zu erbrechen.
    Solveig Grøner redete jetzt leise auf sie ein.
    »Evelyn«, sagte sie behutsam und streckte eine Hand aus. »Ich weiß ja nicht, was das zu bedeuten hat. Aber wir haben hier keine Patientin mit diesem Namen. Und auch keine, die wir nicht identifizieren konnten. Verstehen Sie was ich sage?«
    Evelyn Mold zitterte so sehr, dass ihre Zähne klapperten.
    »Aber ihr habt mich doch angerufen«, schluchzte sie. »Ihr habt gesagt, ich müsste sofort kommen.«
    Solveig Grøner suchte verzweifelt nach einer Erklärung. Die Frau stand kurz vor einer Panikattacke. Da fiel ihr etwas anderes ein und sofort ergriff sie diesen Strohhalm.
    »Kann es das Rikshospital gewesen sein?«, fragte sie. »Haben sie von dort aus angerufen und Sie haben sich nur verhört?«
    Evelyn dachte angestrengt nach. Das Rikshospital. Das lag eine Fahrstunde von ihrer Wohnung entfernt. Konnte Francis auf ihrem kleinen Mofa so weit gefahren sein, ja, natürlich konnte sie das, denn das Mofa war ganz neu und sie war so begeistert davon. Aber sie hatten doch nicht Rikshospital gesagt? Oder doch? Sie versuchte sich zu erinnern. Hatte ein Mann oder eine Frau angerufen, wie war der genaue Wortlaut gewesen, warum hatte sie nur Watte im Kopf, warum konnte sie keine konkrete Information herausfiltern? Sie konnte sich nur daran erinnern, dass es sich um ein Krankenhaus gehandelt hatte. Sie hatten gefragt, ob Francis ihre Tochter sei, wann sie geboren wurde, und dann etwas über einen Unfall. Und

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