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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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ausnutzen. Die Lähmung nutzen, die sie aller Wahrscheinlichkeit nach packen würde. Und er hatte Glück. Sie fuhr sehr langsam, kam auf ihren weichen Gummirädern angerollt und johlte vor sich hin. Er zog das Armeemesser aus dem Gürtel und klappte die längste Klinge auf, dann begann er mit dem Countdown. Er zitterte vor Erregung, das Zittern machte ihn wütend und die Wut machte ihn wieder ruhig, und er konnte es kaum noch aushalten. Er sprang auf und stürzte auf den Weg. Warf sich über das Rad und packte den Gepäckträger, der Koffer mit der Trompete knallte auf den Asphalt. Verwirrt setzte sie die Füße auf den Boden, ihr zierlicher Körper zuckte zusammen. Sie wollte sich gerade umdrehen, da legte er ihr den Arm um den Hals und drückte zu. Er war so dünn, dieser Hals, wie der Stiel einer Kirsche, und die grünen Adern waren wie dünne Fäden. Sie fiel zu Boden, das Rad hinterher und Johnny geriet ebenfalls aus dem Gleichgewicht und fiel hin. Sie lagen zappelnd auf dem Boden und in der Hitze des Gefechts hielt er kurz verwundert inne. Sie schrie nicht. Sie war auch nicht wie gelähmt, sie schlug mit einer Kraft um sich, die ihn fassungslos machte. Er konnte sich nur mit dem linken Arm zur Wehr setzen, denn in der rechten Hand hielt er das Messer. Sie trat aus wie ein Esel. Sie wand sich wie ein Wurm. Sie bewegte sich wie eine Schlange. Dann schlug sie ihm die Zähne in den Unterarm. Vor Schmerz kamen ihm die Tränen, und fast hätte er sie losgelassen. Sie nutzte den kurzen Schockmoment und drehte den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. Durch die Löcher in seiner Gorillamaske sah er das kleine Gesicht mit den vereinzelten Sommersprossen. Er konnte jetzt unmöglich ablassen, er durfte nicht zögern, denn jetzt konnte er sich endlich an Else Meiner rächen, dem Quälgeist, der sein Dasein vergiftete, dem Drachen, der immer aus seiner Höhle kroch, wenn er an ihr vorbei fuhr. Er konnte sie jetzt ein für allemal demütigen. Also biss er die Zähne zusammen, presste sie mit ganzer Kraft auf den Asphalt. Dann setzte er sich rittlings auf ihren schmalen Rücken, packte die feuerroten Haare und hob das Messer. Mit einer fließenden Bewegung schnitt er ihren Zopf ab. So wie man ein Seil kappt. Er stopfte sich den Zopf in die Tasche, sein Atem ging schnell, hielt sie aber fest, um klarzustellen, dass er auch ihre Kehle durchschneiden könnte, wenn er wollte, und wenn sie nicht lernte, sich zu benehmen. Dann hörte sie endlich auf zu zappeln und lag ganz ruhig da. Er bohrte ihr das Knie ins Kreuz, packte die verbliebenen Haare, zog zweimal kräftig daran und versetzte ihr einen letzten mahnenden Stoß. Dann sprang er auf und verschwand wieder im Gebüsch. Lief im Zickzack durchs Unterholz und versteckte sich im Farn. Von dort beobachtete er, wie sie versuchte, sich aufzurappeln. Das hatte sie doch ganz schön mitgenommen, sie schwankte hin und her und sie war blass. Aber dann hob sie ihr Rad hoch und klemmte die Trompete auf den Gepäckträger. Mit der rechten Hand griff sie sich an den Hinterkopf. Johnny wagte in seinem Gebüsch kaum zu atmen. Er hatte sich an den Brennnesseln verbrannt und sich an Disteln gestochen, und Else Meiner hatte ihn in den Arm gebissen, aber er hielt trotzdem den Atem an. Das war nur eine Warnung, schwor er sich. Beim nächsten Mal schneide ich dir die Ohren ab.
    M einers wohnten in der Rolandsgate, in einem großen gelben Haus, in der Hofeinfahrt entdeckten Sejer und Skarre mehrere Autowracks der Marke Mercedes. Sie blieben stehen und sahen sich das Haus und die Umgebung an.
    »Wenigstens haben die Leute jetzt einen Sündenbock«, sagte Sejer. »Wenn heute Nacht in Kirkeby ein Haus brennt, wird ihm das auch in die Schuhe geschoben. Obwohl sein eigentliches Talent darin besteht, seine Mitmenschen aus der Entfernung zu terrorisieren. Also weiß ich nicht so richtig, was ich von dieser Sache halten soll. Komm, lass uns reingehen.«
    Er machte sich auf den Weg zum Haus.
    »Lass uns Else Meiner kennen lernen.«
    Der Vater, Asbjørn Meiner, öffnete die Tür. Meiner war groß und breit, er schlug wütend mit den Türen und war unverkennbar erschüttert ob der Ereignisse.
    »Else«, rief er über seine Schulter ins Haus. »Sie sind da.«
    Und als sie nicht sofort auftauchte:
    »Else! Polizei!«
    Sie hatten mit einem verängstigten Mädchen gerechnet, das vielleicht mit hochgezogenen Knien in einer Sofaecke kauerte. Ein Mädchen mit zitternden Händen und dünner Stimme, die nur in kurzen, kaum

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