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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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andere ist gelogen.«
    »Wo warst du denn heute?«, fragte er dann. »Was hast du gemacht?«
    Johnny änderte seine Sitzhaltung auf dem Puff. Trotz seines bescheidenen Gewichts knackten Kunststoff und Nylonnähte.
    »Nicht viel«, sagte er. »Ich war in einem Café. Ich habe eine Vanilleschnitte gegessen. Und ein bisschen mit der Zeitung geraschelt.«
    Natürlich kriegen sie mich, sagte er sich.
    Früher oder später. Das ist auch in Ordnung. Und während ich darauf warte, amüsiere ich mich. Mir gefällt dieses Spiel, ich gewinne immer. Und sollte ich eines Tages auf meinen Meister treffen, ist das auch in Ordnung. Dann werde ich nicht jammern und klagen. Es hat Spaß gemacht und ich habe überall Aufmerksamkeit erregt.
    Er blieb mehrere Stunden bei Henry. Sie gingen die Tageszeitung durch und redeten über alles Mögliche, aber die meiste Zeit saßen sie in vertrautem Schweigen nebeneinander in dem warmen Zimmer. Als er endlich aufstand, um nach Hause zu fahren, sah er durch das Fenster und entdeckte Else Meiner, und als er dann aus dem Haus kam, sah sie ihn auch. Sie saß auf ihrem blauen Fahrrad. Es sah unversehrt aus, die Reifen waren nagelneu. Er ließ die Suzuki an und setzte sich den Helm auf, dann glitt er langsam auf die Straße. Sie wartete. Ihr Gesicht war ein einziges Grinsen. Er dachte daran, was sein Großvater einmal gesagt hatte. Dass ein Quälgeist oft großes Interesse an seinem Opfer hatte, vielleicht sogar verliebt war. Deshalb sah er sich Else Meiner genauer an. Das spitze kleine Mädchengesicht mit den großen Vorderzähnen. Verliebt in ihn? Heimlich? Er fuhr weiter. Diesmal sah er nicht weg, starrte nicht den Lenker an, nicht den Himmel, er sah ihr direkt in die Augen. Sie wich nicht eine Sekunde aus. Er hatte dieses Lächeln nie richtig wahrgenommen, wurde ihm da klar. Es war wirklich ein frisches und humorvolles Lächeln. Sie weiß, dass ich ihre Reifen aufgeschlitzt habe, ging ihm durch den Kopf. Das versucht sie mir damit zu sagen. Deshalb wird sie mir heute auch nichts hinterherrufen, denn wir sind quitt. Ja, verdammt, wir sind endlich quitt. Er gab Gas und fuhr die Straße hinunter. Als er an ihr vorüberkam, hob sie den Mittelfinger.
    »Froschgesicht!«, rief sie. Ihr Lachen klirrte wie Würfel, die über einen Tisch kullern.
    Er war so wütend, dass seine Wangen glühten.
    »Blöde Schlampe«, schrie er zurück. »Das wirst du mir büßen! Heute noch!«
    Da fiel ihm ein, dass es Donnerstag war. Dass bedeutete, dass die Blaskapelle in der Turnhalle der Hauger-Schule üben würde. Else Meiner würde mit ihrer Trompete auf einem Stuhl sitzen und blasen, bis ihre Wangen sich aufblähten. Ich nehme das Armeemesser, beschloss er. Und zersteche dir beide Lungenflügel.
    Und dann hört man nicht mehr viel von deiner dämlichen Trompete.
    Der Gedanke an die Blaskapelle ließ ihn nicht los. Er wusste, dass Else mit ihrem Rad zur Schule fuhr, die Trompete in einem kleinen Koffer auf dem Gepäckträger. Danach würde sie mit den anderen zwei Stunden lang in der Turnhalle sitzen und blasen. Oder anderthalb. Er wusste nicht, wie lange das dauerte, aber er würde ihnen durchs Fenster zusehen. Ehe er aufbrach, holte er aus einer Schublade in seinem Zimmer eine kleine Überraschung für Else Meiner. Er wollte ihr nicht unvorbereitet gegenüber treten. Danach schob er die Hand in Butchs Käfig und streichelte ihm vorsichtig den Rücken.
    »No country for old men«, flüsterte er.
    Dann verließ er das Haus.
    Es war Spätsommer.
    Die Vegetation befand sich auf dem Rückzug, alles verdorrte. Vergangen waren die Farben und die Frische, vergangen die optimistische Natur, vergangen die Kraft. Als wäre ein Geist oder ein Riese durch die ganze Wohnsiedlung getrampelt und hätte seine Spuren hinterlassen. Erhebt euch nicht mehr. Jetzt wird es kalt und finster. Johnny Beskow sah sich wie immer die Häuser an, an denen er vorbeikam. Man konnte in Askeland Heroin kaufen, das wusste er, zweimal war er angesprochen worden, ob er etwas kaufen wollte. Er hatte mit herablassendem Lächeln abgelehnt. Es war ihm viel zu wichtig, klar im Kopf zu sein, und er wusste, dass er schnell und geschmeidig war. Die Junkies, die in Askeland herumliefen, erinnerten ihn an Schlafwandler.
    Als er sich der Hauger-Schule näherte, bremste er und sah sich um. Im Schuppen wimmelte es von Fahrrädern. Auf dem Parkplatz standen ein paar Autos. Eine Schnur schlug wie eine Peitsche gegen den Fahnenmast, und er hörte eine Trommel, einen

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