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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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hörbaren Sätzen sprach. Aber Else Meiner entsprach überhaupt nicht ihren Erwartungen. Am Ende des Flures kam sie aus einem Zimmer, sie trug verblichene Jeans und ein Hemd mit dünnen Trägern. Ihre kurzen roten Haare, die nicht mehr in einem Zopf gebändigt wurden, standen zu allen Seiten ab, sie sah aus wie ein frecher Troll.
    Asbjørn Meiner stellte sich auf wie der Kapitän auf einem Schiff, breitbeinig, die Hüften vorgeschoben.
    »Ja, so sieht sie jetzt also aus«, stieß er wütend hervor.
    Else Meiner lehnte sich an die Wand.
    »Sie sieht großartig aus«, sagte Sejer. »Das steht mal fest.«
    Das entlockte Else ein Lächeln. Ihre roten Haare sahen aus wie ein Lagerfeuer auf ihrem Kopf und sie hatte kleine spitze Ohren, wie die Elfen im Märchen.
    »Ihr Zopf ging bis zum Hintern«, sagte Meiner mit dramatischem Gesichtsausdruck.
    Er fuchtelte mit seinen langen Armen.
    Sejer und Skarre nickten.
    »Ohje«, sagte Skarre. »Das hat bestimmt lange gedauert.«
    Meiner führte sie in ein geräumiges Wohnzimmer, während Else in der Türöffnung stehenblieb und sie beobachtete. Sie war barfuß und hatte sich die Zehennägel lackiert.
    »Else«, sagte der Vater. »Steh da nicht so rum. Du musst uns helfen.«
    Sie zuckte mit den Schultern. Dann glitt sie langsam über den Teppich und setzte sich, Sejer ließ die kleine Gestalt nicht aus den Augen. Sie folgte der Aufforderung ihres Vaters, brachte ihm aber keinerlei Respekt entgegen. Was Asbjørn Meiner jedoch nicht bewusst zu sein schien.
    »Geht’s dir gut?«, fragte Skarre freundlich.
    Sie sah auf.
    »Klar doch. Sind doch nur Haare«, sagte sie.
    »Hat er eine Schere benutzt?«
    »Nein, das war ein Messer.«
    »Hast du das Messer gesehen?«
    Sie nickte.
    »Es war ein kleines Messer mit einer kurzen Klinge und rotem Griff«, sagte sie. »So eine Art Taschenmesser.«
    »Ein Schweizer Messer?«, fragte Sejer. »Weißt du, wie so eins aussieht?«
    Sie nickte.
    »Ja, wir haben auch so eins in der Küchenschublade. Ein Schweizer Messer.«
    Asbjørn Meiner kniff die Augen zusammen. Er stellte fest, dass die beiden Polizisten in einer Weise mit seiner Tochter in Kontakt traten, wie es ihm selbst noch nie gelungen war.
    »Hast du dich gefürchtet?«, fragte Sejer.
    »Ich bin zusammengezuckt«, sagte sie nüchtern.
    »Hast du etwas gesehen?«
    »Seinen linken Arm. Ich wollte ihn beißen. Da hätte er fast losgelassen.«
    »Hast du noch mehr gesehen?«
    »Nur seine Beine, als er weggelaufen ist. Schnelle Beine«, fügte sie hinzu.
    Sie schob die Hände in die Taschen ihrer Jeans.
    »Was trug er an den Füßen?«, fragte Sejer.
    »Turnschuhe mit hohem Schaft«, sagte sie. »Und schwarzen Rändern. Alt und abgenutzt.«
    »Hat du sonst noch etwas bemerkt?«
    »Seine Maske roch gut«, sagte sie. »Die roch nach Süßigkeiten. Die war garantiert neu.«
    Sejer nickte. Dieses Mädchen war etwas ganz Besonderes, erfrischend und offen. Mit ihren wilden, zerzausten Haaren und der Jeans wirkte sie wie ein frecher Bengel. Sie wirkte zerbrechlich, war aber vermutlich sehr stark. Sie war mürrisch, aber nicht verlegen. Sie hatte lackierte Nägel, wirkte aber nicht eitel.
    »Hast du bei dem Überfall etwas gehört?«, fragte jetzt Skarre. »Ich meine, vorher oder danach? Hat er etwas gesagt? Hast du ein Moped gehört oder einen Motor, der angelassen wurde? Wie ist er abgehauen?«
    »Er ist im Gebüsch verschwunden. Ich habe nichts gehört. Nur, dass er sehr schnell geatmet hat.«
    »Ja, das kann ich mir lebhaft vorstellen«, schaltete sich Asbjørn Meiner ein.
    »Hast du eine Vorstellung, wie alt er gewesen sein kann? War es ein Mann oder ein Junge, was meinst du?«
    »Sie können ja mal versuchen, das Alter eines Gorillas zu schätzen«, erwiderte sie.
    Asbjørn Meiner, der sich an den Rand geschoben fühlte, ergriff wieder das Wort.
    »Es ist toll, dass du taff sein willst, Elise«, sagte er. »Und es ist großartig, dass du dir nicht vor Angst in die Hose gemacht hast. Aber du musst den Polizisten helfen, damit wir diesen Zigeuner endlich zu fassen kriegen.«
    »Ein Zigeuner war das ganz bestimmt nicht«, sagte sie fröhlich.
    »Hat er etwas gesagt?«, fragte Sejer. »Hat er dich bedroht?«
    »Dem ging es nur um meinen Zopf«, sagte sie.
    Sejer musterte Else Meiner mit steigender Begeisterung. Ihre Hände waren weiß wie Milch. Ihre Wimpern glänzten seiden. Ihre Augen waren groß und für ihren hellen Teint ungewöhnlich dunkel, ihr Mund war winzig. Sie erinnerte ihn an eine Puppe aus

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