Eine undankbare Frau
zwischen ihnen. Die kleine Meiner war die Chefin, auf sie hörten die anderen. Wie erwartet dauerte die Pause nur eine Viertelstunde lang, dann liefen sie in die Turnhalle zurück und der Schulhof lag wieder verlassen da. Er schlich sich in die Eingangshalle. Er hörte wieder Else Meiners Trompete. An der Wand hing ein schwarzes Brett und er trat näher, um die Anschläge zu lesen. Dort standen Dinge, die er natürlich schon lange wusste, dass nämlich die Schulkapelle hier jeden Donnerstag von sechs bis acht übte. Aber in der alten Sporthalle fand im Laufe der Woche so allerhand statt. Aerobic. Für Anfänger und Fortgeschrittene. Der Fitnesssport traf sich jeden Dienstag. Die Schachgruppe mittwochs um sieben. Fußball montags. Es gab auch Kochkurse und Handarbeitskurse. Was die Leute so alles treiben, staunte Johnny Beskow. Er schlenderte durch die Eingangshalle. Schlürfte kaltes Wasser von einem Hahn an der Wand, betrachtete die Fotos an den Wänden. Er suchte nach Aufnahmen von Else Meiner und fand sie schließlich, als Tanne verkleidet. Sie trug grünes Flanell am ganzen Körper, aber ihr spitzes Kinn verriet sie. Das Bild war bei irgendeiner Theatervorstellung gemacht worden. Der lebende Wald.
Plötzlich kam ein Mann in einem grauen Nylonkittel um die Ecke.
»Suchst du jemanden?«
Es war der Hausmeister. Johnny antwortete nicht, schob die Tür auf und rannte schneller als der Blitz über den Asphalt. Er holte die Suzuki aus dem Schuppen, schob sie über den Schulhof, vorbei an der Schranke und dann über den Waldweg. Dann blieb er stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Die Probe würde bis acht dauern. Sie würden sich noch ein bisschen unterhalten, die Instrumente in ihren Kästen verstauen, herauskommen und sich auf die Fahrräder setzen und losstrampeln. Viertel nach wird sie hier sein, rechnete er sich aus. Auf ihrem blauen Rad. Er ging langsam über den Liebespfad und hielt dabei Ausschau nach einem guten Versteck. Es musste ein Strauch sein, der groß genug war, um ihn und das Moped zu verdecken. Und nach seiner Tat würde er in Deckung bleiben müssen, bis sie verschwunden wäre.
Im Gehen schoss ihm plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. Feuerrot wurde er, vom Hals bis hoch zum Haaransatz. Er war so fertig, dass er stehen bleiben musste. Er hing über dem Moped, rotgefleckt und heiß vor Scham. Wie groß war überhaupt die Wahrscheinlichkeit, dass Else Meiner diesen Weg nehmen würde? Sie könnte doch die Hauptstraße hinunterfahren. Diese Strecke war viel kürzer. Dort war zwar auch mehr Verkehr, aber sie könnte sich trotzdem für die Hauptstraße entscheiden. Und: Wie groß war denn überhaupt die Wahrscheinlichkeit, dass sie mutterseelenallein kommen würde? Spielten in dieser blöden Kapelle nicht mindestens dreißig Kinder mit? Vielleicht würden sie zu viert oder fünft zusammen fahren. Über eine Minute dauerte diese Schamattacke. Er konnte sich nicht bewegen. Wenn jemand dahinter käme, wie dämlich er war? Dann riss er sich zusammen, streckte die Schultern und hob den Kopf. Ich bin doch der Schnellste, sagte er sich, die erstarren alle zu Salzsäulen. Und außerdem erkennen sie mich nicht. Das dachte er. Und schob das Moped weiter. Nach einer Weile gabelte sich der Weg. Eine Abzweigung führte nach links, er nahm an, dass sie Richtung Süden und nach Kirkeby führte. Hier werden einige von ihnen abbiegen, und dann fahren nur noch zwei oder drei weiter. Und vielleicht gibt es noch eine weitere Gabelung. Die gab es. Der eine Weg führt nach rechts, Richtung Sandberg. Hier biegt vielleicht noch eine ab. Dann sind es nur noch zwei. Zwei Mädchen, damit werde ich fertig. Kurz darauf kam er auf der linken Seite an einem dichten Gebüsch vorbei. Er zog das Moped vom Weg, versteckte es im Unterholz und hockte sich hin, um auf Else Meiner zu warten.
Im Gebüsch wuchsen Brennnesseln und Farn.
In der Hand hielt er das Armeemesser.
Sie nahm den Liebespfad.
Sie kam allein.
Sie sang und johlte eines der Lieder, die mehrmals am Tag im Radio gespielt wurden, er konnte sich an den Titel nicht erinnern, aber es ging ihm auf die Nerven. Das blaue Rad leuchtete, wahrscheinlich hatte ihr Papa das gekauft und ihr Papa hatte auch die neuen Reifen besorgt. Denn wer einen Papa hat, weiß, an wen er sich wenden muss, wenn etwas kaputt geht. Er kroch langsam aus dem Gebüsch, robbte über den Boden wie ein Reptil. Sein Plan war, sich von hinten auf sie zu stürzen, er musste unbedingt das Überraschungsmoment
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