Eine undankbare Frau
einem Puppentheater, aber Else Meiner hing an keinen Marionettenfäden. In ihrem Leben hatte allein sie das Sagen. Du wirst deinen Weg gehen, dachte Sejer. Auf deine Weise.
Er stand auf und trat ans Fenster, sah die Rolandsgate hinunter. Dann drehte er sich wieder zu dem Mädchen um.
»Hat dich in letzter Zeit jemand verfolgt?«, fragte er. »Hat dich jemand schikaniert oder verspottet? Oder dich bedroht?«
»Nein«, antwortete sie mit fester Stimme.
»Wer wohnt in den anderen Häusern?«, fragte Sejer.
Asbjørn Meiner trat neben ihn.
»Die Leute hier sind alle in Ordnung«, sagte sie. »Hier werden sie rein gar nichts finden. Rechts wohnen Nomes. In der braunen Holzvilla. Daneben dann Reinertsens und Greens, die sind übrigens miteinander verwandt, und wie Sie sehen, haben die denselben Architekten gehabt. Ein bisschen albern, diese Häuser, finde ich zumindest. Dann haben wir Rasmussens, Lies und Medinas. Auf unserer Straßenseite wohnen Håkonsens, Juels und Glasers. Und in dem Steinhaus da hinten Krantzens.«
»Was ist mit dem alten Haus am Ende der Straße?«, fragte Sejer und zeigte darauf. »Das fällt aus der Reihe.«
Asbjørn Meiner nickte. Und als er nickte, verpflanzte diese Bewegung sich wie eine Welle durch seinen kräftigen Körper.
»Ja, das ist nicht besonders schön«, sagte er. »Aber das Haus stand schon hier, lange bevor wir anderen hier gebaut haben. Und deswegen hat es Bleiberecht. Dieses Haus wurde zu einer Zeit gebaut, als man noch Asbestplatten benutzt hat. In dem Haus wohnt ein alter Mann namens Beskow, Henry Beskow. Aber wir sehen ihn nicht oft, er verlässt nie das Haus. Eine Frau vom Pflegedienst kommt regelmäßig. Sie kommt morgens und hilft ihm beim Aufstehen. Und dann kommt ein Junge mit einem Moped. Sein Enkel, nehme ich an. Der brettert eigentlich dauernd hier vorbei. Wer ist dieser Knabe, Else?«, fragte er und drehte sich zu seiner Tochter um.
»Keine Ahnung«, sagte Else Meiner kurz angebunden.
Sejer drehte sich um, Else hatte das Wohnzimmer verlassen und war in ihrem Zimmer verschwunden, aber die Tür stand offen. Sejer folgte ihr, weil er den Eindruck hatte, dass sie das wollte, die offene Tür verstand er als eine Einladung. Er steckte den Kopf durch die Tür. Ihm fiel sofort das goldene Instrument ins Auge, das auf ihrem Bett lag.
Sie saß an ihrem Schreibtisch und hatte ein Buch aufgeschlagen.
»Ist das jemand gewesen, den du kennst?«, fragte er freundlich.
Sie schüttelte den Kopf. Fuhr sich mit der Hand durch die kurzen Haare.
»In meinem Freundeskreis gibt es keine Gorillas«, sagte sie.
Er lachte leise. Sie gefiel ihm immer besser. Diese Offenheit und ihre Art von Humor.
»Bist du eine gute Trompeterin?«, fragte er und nickte zu dem Instrument auf dem Bett.
»Ja. Ziemlich gut.«
An der Wand hatte sie Bilder und Plakate. Er erkannte einige der Abgebildeten, unter anderem Orlando Bloom und Leonardo DiCaprio. Und dann hatte sie ein Bild vom Joker aus Batman. Das weiße Gesicht mit dem roten Mund. Es gab auch zwei Fotos von ihr in der Uniform der Blaskapelle, dunkelblau mit kurzem weißen Rock und eine Schiffchenmütze mit Seidenquaste. Auf ihrem Bett lag ein Haufen von Kissen. Eins war rot, herzförmig und mit einer sorgfältig gestickten Aussage versehen.
»I love Johnny.«
»Was glaubst du, warum wollte er deinen Zopf haben?«, fragte Sejer.
Sie warf den Kopf in den Nacken.
»Der hat bestimmt eine ganze Sammlung davon«, sagte sie. »In einer Schublade. Schwarze und braune und blonde Zöpfe. Vielleicht riecht er abends daran.«
Diese Antwort verwirrte ihn. War das alles so was Mädchenspezifisches, hatte sie sich die ganze Geschichte nur ausgedacht, um Aufmerksamkeit zu erregen? Es kam ja vor, dass Mädchen das taten. Mädchen, die Drama und Aufmerksamkeit brauchten. Aber er glaubte seiner eigenen Theorie nicht.
Sie stand auf und ging zur Wand, nahm ein Foto von sich mit intaktem Zopf herunter.
»Da hat er wirklich eine feine Trophäe erwischt«, sagte Sejer.
Er bedankte sich bei ihr und ging zurück zu Skarre und Meiner.
»Ihre Fahrradreifen wurden vor kurzem aufgeschlitzt«, sagte Meiner. »Vor ein paar Tagen. Oben beim Staudamm Sparbodam. Ich weiß nicht, was hier gerade los ist. Ich meine, mit wie vielen Idioten haben wir es denn hier zu tun, das überschreitet doch jede Vorstellungskraft.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Skarre.
»Irgendjemand will uns das Leben vermiesen«, sagte Meiner. »Irgend so ein Depp. Schnappen Sie den und
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