Eine unerwartete Erbschaft (German Edition)
Zigarette«, fuhr Brother Jasper ungestört fort. »Ich weiß, ich weiß.« Er hob die Hand, als wollte er mich zum Schweigen bringen. »Ich sollte aufhören, aber es ist mein einziges Laster. Jedenfalls saß ich draußen, als ich plötzlich den Wagen Ihrer Freundin Piper vorfahren sah. Anscheinend hatte sie Hubert in einer Bar aufgegabelt.«
Einer Bar? Wie war Hubert in einer Bar gelandet? Als ich ging, war er dabei, Hühnchen zu braten.
»Piper hatte Schwierigkeiten, ihn aus dem Wagen und ins Haus zu schaffen, also eilte ich selbstverständlich zu Hilfe. Er hatte viel getrunken. Viel zu viel.« Er klang, als bedauerte er die ganze Situation. »Nicht, dass ich ihn deswegen verurteile! Gott weiß, dass ich nicht auf der Welt bin, um mit Fingern auf andere zu zeigen. Ich bin so sündig wie jeder andere auch, soviel steht fest.« Er verfiel in Schweigen, trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad und schien in die Ferne zu blicken. Ich merkte, dass er plötzlich ganz weit weg war.
»Also gingen Sie hin, um zu helfen ...«, erinnerte ich ihn.
»Ach ja.« Er kehrte zu mir zurück. »Zu zweit gelang es uns, ihn die Verandatreppe hoch und ins Haus zu schaffen. Es war nicht einfach. Er ist ein großer junger Mann und konnte sich selbst nicht mehr auf den Beinen halten.« Brother Jasper schüttelte den Kopf. »Und er war furchtbar unglücklich.«
Das alles ergab keinen Sinn. So etwas sah Hubert gar nicht ähnlich. Je mehr ich hörte, desto mehr Fragen hatte ich. »Das
verstehe ich nicht. Sind er und Piper zusammen ausgegangen? Und warum ist er unglücklich? Ist jemand gestorben?«
»Niemand ist gestorben.« Brother Jasper lenkte um die Kurve, indem er das Steuer mit dem Handballen drehte – mein ehemaliger Fahrschullehrer wäre entsetzt gewesen. »Hubert hat Liebeskummer. Wegen einer Frau namens Kelly?« Wir hielten an einem Stoppschild und er sah mich an.
Ich nickte bestätigend. »Aber sie hat vor einer Woche mit ihm Schluss gemacht. Ich dachte, er wäre darüber hinweg. Oder zumindest auf dem Weg dahin.«
»Das Herz braucht eine Weile, um zu heilen.« Er seufzte. »Offenbar war er irgendwo unterwegs und hat Kelly mit einem anderen gesehen. Danach hat er sich betrunken. Irgendwann später rief er Piper an, damit sie ihn nach Hause bringt. Das ist alles, was ich weiß. Ihre Freunde können Ihnen sicher mehr erzählen.«
»Woher wussten Sie, wo Sie mich finden können?«
»Hubert kannte den Namen des Lokals, in dem Sie essen wollten. Er sagte, Sie würden erst noch ins Kino gehen, also dachte ich, die Chance ist groß, dass ich Sie dort jetzt noch erwische.«
»Oh.« Ich rechnete kurz nach – der Film hatte mit allem Drum und Dran etwa zwei Stunden gedauert und im Restaurant waren wir etwas länger als eine Stunde gewesen. Inklusive der Fahrzeit war ich nicht länger als ein paar Stunden außer Haus gewesen. »Ich war aber nicht sehr lange weg. Wie kann man in so kurzer Zeit so betrunken werden?«
Brother Jasper zuckte mit den Schultern. »Was soll ich sagen? Der Junge hat sich eben mächtig ins Zeug gelegt.«
Die nächsten Kilometer über schwieg ich. Brother Jasper lenkte den Wagen wie ein Busfahrer. Glücklicherweise roch es nicht
nach Zigaretten und der Aschenbecher war voller Kleingeld. Von den Nachbarn hatte ich gehört, dass er häufig Obdachlose aus ihrer Unterkunft zum Krankenhaus fuhr und wieder zurück. Ich selbst hatte ihn schon beobachtet, wie er das Auto voller Dosen lud, um sie bei der Tafel für Bedürftige abzugeben. Und Belinda hatte mir erzählt, dass er jedes Mal sofort losfuhr, wenn ihr kleiner Hund verloren ging. Ich hatte den Eindruck, dass das ziemlich oft passierte und sie auch ein Hilfsangebot von mir erwartete, aber darauf konnte sie lange warten! Ich war nicht bereit, alles stehen und liegen zu lassen, nur um im Unterholz nach einem Köter zu suchen, der keinen Gehorsam gelernt hatte. So ein guter Mensch war ich eben nicht.
Brother Jasper dagegen schon.
Heute Abend, am Ende eines langen Tages, hatte er sich nicht wie die meisten Leute vor den Fernseher gefläzt, sondern Hubert und Piper – fast Fremden – geholfen und mich dann aus einem Restaurant am anderen Ende der Stadt geholt. Das war eine extrem gute Tat gewesen. Und statt Dankbarkeit zu zeigen, war ich störrisch und stellte dumme Fragen.
Mich durchfuhr die Erkenntnis, dass ich neben einem extrem guten Menschen saß. Vermutlich vollbrachte er jeden Tag mehr gute Taten als ich in einem ganzen Jahr. »Ich bin Ihnen
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