Eine ungezaehmte Lady
der Klippe überließ sie es Jipsey, einen Weg ins Wasser zu finden, denn sie vertraute darauf, dass die Stute es schon richtig machen würde. Als sie tiefer in den Fluss hineinwateten, reichte das schlammige rote Wasser dem Pferd bald bis an den Bauch. Totes Laub und Zweige wirbelten um sie herum, und ein muffiger Geruch lag in der Luft.
Lady hörte, dass Rafes Pferd hinter ihr ins Wasser ging, und lenkte Jipsey auf die erste lange Sandbank. Vogelschwärme kreisten auf der Suche nach einem Unterschlupf für die Nacht mit lautem Gekreische über ihrem Kopf. Das Sonnenlicht malte dunkle Schatten auf den roten Fluss.
»Schnell!«, rief Rafe und kam näher. »Sie sind genau über uns.«
Erschrocken schaute Lady sich um. Mindestens ein Dutzend Männer mit Winchestern hatten sich am Rand der Klippe aufgereiht und zielten auf sie. Die Strahlen der untergehenden Sonne spiegelten sich in den Läufen ihrer Gewehre. Wie war die Meute so rasch hierhergekommen? Sie hatte ihren Vorsprung für größer gehalten.
»Wir sind nicht außer Schussweite«, erwiderte sie, nachdem sie die Entfernung mit geschultem Blick abgeschätzt hatte.
»Zickzack!« Er trieb Justice an und ritt in Schlangenlinien über die Sandbank und in den Fluss hinein.
Lady folgte, in der Hoffnung, dass der unberechenbare Kurs und die zunehmende Dunkelheit sie schützen würden. Eine Kugel sauste, surrend wie eine zornige Biene, an ihrem Kopf vorbei. Weitere Schüsse prasselten ins Wasser und wirbelten kleine rote Geysire auf. Lady duckte sich in den Sattel und stieß Jipsey die Fersen in die Flanken. Rafes Wallach, der stärker war, kam in der Strömung schneller voran und entfernte sich zusehends.
Sie schaute zurück zur Klippe. Drei Männer waren in die Knie gegangen, legten an und zielten nun tiefer als zuvor. Sie musste unbedingt außer Schussweite kommen. Wieder trieb sie Jipsey an.
Lady stellte fest, dass Rafe auf der nächsten Sandbank langsamer geworden war, sich umblickte und offenbar auf sie wartete. Sie bedeutete ihm, weiterzureiten, damit wenigstens einer von ihnen durchkam.
Da sie wusste, dass sie außerhalb des Wassers ein besseres Ziel abgab, ritt sie wieder hinein und kauerte sich weiter über Jipseys Hals. Inzwischen war sie mit rotem Schlamm bedeckt, eine glitschige Masse, die es zur Herausforderung werden ließ, sich im Sattel zu halten. Lady klammerte sich an Sattelknauf und Zügel und schloss die schmerzenden Knie fest um den Leib des Pferdes.
Als sie hörte, wie Epona in ihrem Kopf einen Warnschrei ausstieß, wusste sie, dass gleich etwas Schreckliches geschehen würde. Im nächsten Moment prallte ein Geschoss von Jipseys Sattel ab und riss eine rote Wunde in die Schulter der Stute. Das Pferd strauchelte.
Lady sprang aus dem Sattel und verlor dabei ihren Hut im Wasser. Eine starke Strömung ergriff sie und zog sie in die Tiefe. Sie schluckte schlammiges Wasser und kämpfte sich hustend und prustend wieder an die Oberfläche. Dann stemmte sie sich gegen die Strömung und steuerte wieder auf die Sandbank zu.
Sie befürchtete, Jipsey könnte tot oder schwer verletzt sein. Doch die Stute, dafür ausgebildet, auch unter Beschuss die Ruhe zu bewahren, stand auf der Sandbank. Neben ihr erkannte Lady Rafes Pferd; allerdings saß niemand im Sattel. Rafe selbst war nirgendwo zu sehen. War er getroffen worden und in den Fluss gefallen?
Sie musste zurück, um ihm zu helfen. Nur, dass die starke Strömung sie immer weiter weg zog. Außerdem schlug rings um sie herum ein Geschosshagel ein.
Lady trat Wasser anstatt zu schwimmen, um ihre Kräfte zu schonen. Der Stoffstreifen um ihre Brüste war ihr hinunter an die Taille gerutscht und geriet ihr ständig in die Quere. Sie zerrte daran, bis er sich lockerte, und ließ ihn davontreiben. Sie musste die Sandbank erreichen, bevor sie zu schwach dazu war.
Plötzlich wurde sie von starken Händen gepackt. Mit einem Aufschrei schlug sie um sich, da sie glaubte, einer der Banditen habe sie angegriffen.
»Ich bin es«, rief Rafe. »Alles in Ordnung.«
Ihre erste Erleichterung wurde von Todesangst abgelöst. Was, wenn er sie als Frau, ja, als Lady mit dem Colt erkannte? Doch obwohl sie seine Hände am liebsten weggestoßen hätte, brauchte sie seine Hilfe.
»Wir müssen hier raus.« Er warf einen Blick auf die Klippe. »Halt dich an meiner Schulter fest.«
Sie klammerte sich fest, während er durch den Fluss pflügte und sie hinter sich herzog. Als seine Arme das Wasser durchschnitten, bewegten sich
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