Eine ungezaehmte Lady
so als wären alle Tiere geflüchtet oder hätten sich vor einer Gefahr versteckt. Aber sie hörte jetzt deutlich das gedämpfte Klipp-Klapp von Pferdehufen auf sie zukommen. »Zieh dein Hemd an.« Sie warf einen Blick auf das Wasserbecken, das soeben noch so verführerisch gewirkt hatte, jetzt aber zur Falle werden konnte. »Ich sammle meine Kleidung auf.«
»Was ist los?«
»Da kommt jemand«, wisperte sie. »Wir müssen von hier verschwinden.«
»Bist du sicher?«
»Horch!«
Er neigte den Kopf zur Seite, nickte ihr dann zu, hob rasch sein Hemd auf und machte sich auf die Suche nach seinen Stiefeln.
Sie hob ihre Unterwäsche, ihre Bluse und ihre Jeans auf und spülte rasch im Wasser den Schlamm ab. Dann rollte sie die Kleidungsstücke zu einem Ball zusammen, damit sie nicht tropfen und eine Spur hinterlassen würden. Sie griff nach ihren Stiefeln und sah sich um. Es war unmöglich, ihre Spuren zu verwischen. Die Hufe der Pferde, ihre Stiefel und ihre nackten Füße hatten zu viel Schlamm aufgewühlt. Sie konnten nur so schnell wie möglich von hier verschwinden und ihre Waffen zur Hand nehmen.
Rafe kam an der Baumgrenze zu ihr. Sie eilten gemeinsam zu ihren Pferden. Er zog sich sein nasses Hemd an, während sie in ihr Leibchen und ihre Unterhose schlüpfte. Der nasse Stoff klebte wie eine zweite Haut an ihr. Sie versteckte ihre restliche Kleidung hinter einem Felsbrocken und zog ihr Gewehr aus dem Futteral. Rafe schlang sich mit grimmiger Miene seinen Pistolengürtel um die Hüften und rückte seinen Peacemaker zurecht.
Als sie das stetige Klappern der Hufe immer näher kommen hörte, griff Lady nach Rafes Arm. Er nickte und legte eine Hand auf Justices Nüstern, um den Wallach ruhig zu halten. Sie machte das Gleiche bei Jipsey. Sie wollte verhindern, dass ihre Pferde auf das fremde Tier reagierten und ihr Versteck unter den Bäumen verrieten.
Kurz darauf hörte sie, wie jemand von einem Pferd stieg. Der Sattel knarrte protestierend. Die Person ging um die Quelle herum und sah sich wahrscheinlich nach Spuren um, bevor er zu seinem Pferd zurückkehrte. Wer immer es auch war – er hatte ihre Spuren sicher nicht übersehen, aber vielleicht glaubte er, dass sie schon vor einiger Zeit aufgebrochen waren.
Sie atmete flach, beobachtete das Gelände, versuchte, sich zu beruhigen und sich nicht zu bewegen – sie tat so, als wäre sie nicht da, und hoffte, Rafe würde es ihr gleichtun.
»Lady?«, rief eine Männerstimme. »Lady mit dem Colt!«
Sie erstarrte. Die Stimme kam ihr bekannt vor, aber sie konnte sie nicht zuordnen. Der Mann hatte sie in der Nacht an einen Ort verfolgt, den kaum jemand kannte. Das war nicht leicht. Wahrscheinlich eher ein Indianer als ein Amerikaner. Zip hatte mit Heck Humby allerdings einen Fährtensucher bei sich. Sie konnte nur hoffen, dass es sich nicht um die beiden handelte. Sie versuchte wieder, sich zu beruhigen, um sich auf keinen Fall zu verraten.
»Hier ist Crowdy.«
Erleichterung durchströmte sie. Es war nicht Zip mit seinen Männern. Sie holte tief Luft und warf Rafe einen Blick zu.
Er hob fragend die Augenbrauen.
Sie nickte beruhigend. »Crowdy, bist du allein?«
»Ja.«
Lady musste sich jetzt rasch entscheiden.
»Vertraust du ihm?«, flüsterte Rafe und schlüpfte in seine Stiefel.
»Ja. Aber wir sollten trotzdem vorsichtig sein. Möglicherweise zwingt Zip ihn dazu, uns hervorzulocken.«
»Zieh dich an«, zischte Rafe. »Ich werde Crowdys Spur zurückverfolgen, nachsehen, ob Zip dort draußen lauert und von der anderen Seite wieder zurückkommen.«
»Das wird er bemerken.«
»Egal. Wir wären dumm, wenn wir das nicht versuchten.«
»Stimmt. Wahrscheinlich rechnet er damit.« Sie legte ihr Gewehr zur Seite. »Geh. Ich werde von hier aus weiter mit ihm sprechen und ihn ablenken, während ich mich anziehe.«
Rafe legte seine Hand auf ihren Hinterkopf, zog sie zu sich heran und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund. »Wenn wir die Sache mit Crowdy erledigt haben, machen wir da weiter, wo wir aufgehört haben.«
Sie zog eine Augenbraue nach oben. »Du lebst offensichtlich gern gefährlich.«
26
Rafe konnte in der Umgebung von Medicine Spring sonst niemanden entdecken. Crowdy hatte noch nicht versucht, ihn zu lynchen, was für den Indianer sprach. Andererseits hatte Crowdy Whiskey und Bier in seinem Saloon ausgeschenkt, und das verstieß gegen das Bundesgesetz. Hätte Rafe im Boggy sein Abzeichen getragen, wäre er verpflichtet gewesen, den Saloonbetreiber
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