Eine ungezaehmte Lady
konfrontieren. Hoffentlich hatte er sich eines Besseren besonnen.
Aber das war im Augenblick nicht ihre größte Sorge. Bei Tageslicht begriff sie, dass sie anscheinend am Abend zuvor komplett den Verstand verloren hatte, als sie sich dieser Ekstase hingegeben hatte. Das war nicht sehr klug gewesen. Die Lady mit dem Colt machte die Männer scharf, und nicht umgekehrt. Sie musste kühl und unbeteiligt bleiben, wenn sie ihre Ziele erreichen wollte. Trotzdem brauchte sie Rafes Hilfe, und Männer konnten sehr empfindlich reagieren, wenn sie abgewiesen wurden. Wenn sie ihm ihre Lage erklärte, würde er sie vielleicht verstehen und es nicht persönlich nehmen.
»Ich war einmal verliebt«, begann sie schließlich.
»Was?« Rafe warf ihr von der Seite einen Blick zu und hob überrascht die Augenbrauen.
»Du doch sicher auch.« Sie schluckte hart um ihre Kehle zu befeuchten, die plötzlich wie ausgetrocknet war. »In unserem Alter kann das doch gar nicht anders sein.«
»Nur einmal?«
»Das eine Mal hat mir gereicht.«
»Was ist passiert?«
»Ich habe etwas festgestellt.«
»Und was?« Er lenkte Justice näher an sie heran, und sein schwarzer Stiefel streifte ihren roten.
»Ich habe entdeckt, dass es romantische Liebe nicht gibt. Sie ist nicht echt.«
Rafe räusperte sich. »Und eine andere Art von Liebe?«
»Die Liebe für Familienmitglieder.«
»Und diese ist echt?«
»Ja. Ebenso wie die Liebe zwischen mir und meinen Pferden.«
»Und was glaubst du, wie Eheleute zusammen kommen?«, fragte er.
»Abmachungen. Der eine kümmert sich um das Vieh und die Farm. Der andere kocht, putzt und zieht die Kinder groß.«
»Und sonst gibt es nichts, was sie zueinander führt?«
»Lust. Du weißt schon. Eine Stute ist rossig, und der Hengst kann nicht widerstehen.«
Rafe lachte leise und schüttelte den Kopf. »Du glaubst, genau Bescheid zu wissen, richtig?«
Lady runzelte die Stirn und warf ihm einen bösen Blick zu. »Das ist nicht lustig.«
»Nur, damit ich dich richtig verstehe: Männer und Frauen tun sich nur der Einfachheit halber zusammen, richtig?«
»Ja, es scheint so.«
»Natürlich kann das der Fall sein, aber es ist doch nicht immer so. Wie ist es bei deinen Eltern?«
Sie zögerte und dachte kurz nach. »Sie waren sich immer sehr zugetan.«
»Liebe?«
»Ja.«
»Aber keine Liebesromanze?«
»Eher die Liebe zwischen Familienmitgliedern.« Sie dachte zurück und erinnerte sich. Dad brachte Ma einen Blumenstrauß, einen Eimer voll Brombeeren, einen Schal aus der Stadt, und Ma war begeistert, fuhr ihm zärtlich über die Wange und drückte ihm rasch einen Kuss auf den Mund. »Aber meine Eltern zählen nicht.«
»Warum nicht?«
»Sie sind meine Ma und mein Dad.« Ein brennender Schmerz breitete sich bei dem Gedanken daran, dass sie ihre Eltern verloren hatte, in ihrer Brust aus. Sie konnte die Vorstellung nicht ertragen, einen solchen Verlust noch einmal erleben zu müssen.
»Willst du über uns reden?«
»Nein.« Lady atmete tief durch. »Ich meine, ja. Es gibt kein uns. Und letzte Nacht? Da sind zu viele Emotionen hochgekocht. Das wird nie wieder vorkommen.«
»Lady.« Er griff nach ihrer Hand und drückte sie.
Sie riss sich los und führte Jipsey zur Seite, um mehr Platz zwischen ihnen zu schaffen.
»Nein, nicht Lady.« Er lenkte Justice so, dass sich ihre Stiefel wieder berührten. »Nach letzter Nacht bist du Sharlot.«
Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Nein. Du darfst mich nicht bei meinem Namen nennen. Wenn wir in Robber’s Cave sind, könntest du vergessen, mich Lady zu nennen. Außerdem …«
»Nein, das werde ich nicht.« Er sah ihr in die Augen. »Wie lautet dein voller Name? Du kennst meinen.«
»Rafe, es ist nicht nötig, dass …«
»Wenn du es mir nicht verrätst, werde ich dir den ganzen Weg nach Robber’s Cave keine Ruhe lassen.«
Sie zuckte seufzend die Schultern. »Sharlot Eachan.«
Er lächelte, und seine grauen Augen leuchteten auf. »Hübsch. Der Name passt zu dir.«
»Das fanden meine Eltern auch.«
»Stammen sie aus Irland?«
»Dad schon. Ma… Sharlot ist ein Choctaw-Name.«
»Bist du deshalb hier? Wegen der Indianer?«
»Und wegen des wunderschönen Landes.«
»Eachan klingt bekannt. Ich frage mich, ob ich den Namen schon einmal gehört habe.«
»Keine Ahnung.« Lady schüttelte den Kopf. Sie hielt es für das Beste, nicht weiter über ihren Namen oder ihre Eltern zu sprechen. Sie wollte etwas klarstellen, wusste aber nicht so recht, wie.
Vor sich sah sie
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