Eine unheilvolle Begegnung
zusammen sein zu können. Leider ging das nicht. Irgendwann würden sie beide wieder arbeiten und ihr gewohntes Leben fortsetzen müssen. Aber wünschen konnte sie es sich ja immerhin.
Sam kehrte ins Wohnzimmer zurück und überlegte kurz, was sie jetzt machen sollte. Irgendwie musste sie die Zeit, bis Morgan zurückkam, überbrücken. Vielleicht konnte sie ein wenig aufräumen, um sich abzulenken. Sam blickte sich in dem Raum um. So weit sah eigentlich alles ganz ordentlich aus. Sie rückte gerade die Bücher im Regal zurecht, als sie im Schlafzimmer ein leises Geräusch hörte. Lauschend legte sie den Kopf schräg. Hatte sie etwas gehört, oder war das nur ihre Einbildung gewesen? Hoffentlich war kein Vogel durch die offene Terrassentür hineingeflogen. Wenn sie eines nicht gut vertrug, dann war es der Anblick von toten oder verletzten Tieren. Eigentlich ein Witz, weil sie in ihrem Beruf fast ständig mit versteinerten Abdrücken von Knochen, also toten Tieren, zu tun hatte. Aber irgendwie war es für sie etwas anderes, ob sie einen uralten, versteinerten Knochen oder ein Tier mit Haut und Haaren oder Federn vor sich hatte.
Jetzt war jedoch niemand hier, der ihr die Aufgabe abnehmen konnte, also musste sie wohl ihren Mut zusammennehmen und selbst nachschauen. An der Tür zum Schlafzimmer zögerte sie erneut. Sie straffte die Schultern und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Nichts zu sehen. Vorsichtig schob sie ihren Kopf durch die Öffnung und blickte sich gründlicher im Zimmer um. Immer noch nichts. Vielleicht hatte sie sich das Geräusch ja auch nur eingebildet, oder es war in der Wohnung über ihr gewesen. Beruhigt öffnete sie die Tür nun ganz und ging hindurch. Sie würde die Terrassentür lieber schließen, damit nicht doch noch ein Tier hier eindrang.
Sie hatte gerade zwei Schritte getan, als sich plötzlich eine Hand brutal über ihren Mund legte und ein Unbekannter ihre Arme an ihren Körper presste. Nach einer Schrecksekunde wehrte sie sich mit allem, was sie hatte: mit Händen, Füßen und Zähnen. Es half alles nichts. Der Fremde drückte ihr die Luft ab, seine Hand lag halb über ihrer Nase. Vor ihren Augen erschienen Pünktchen, dann wurde der Raum immer dunkler. Die Kraft verließ sie, und sie hörte auf, sich zu wehren. Nach einer scheinbar endlosen Zeit, in der sie halb ohnmächtig in dem eisernen Griff hing, lockerte er sich endlich so weit, dass sie wieder atmen konnte. Mühsam versuchte sie, genug Luft durch ihre Nase einzuatmen, um neue Kraft zu sammeln. Das Blut rauschte in ihren Ohren, ihr Kiefer und ihr Brustkorb schmerzten. Großer Gott, waren das die Männer, die Morgan verfolgt hatten? Wie hatten sie sie hier gefunden? Und wenn sie es nicht waren, wer war es dann? Sie versuchte zu sprechen, aber es gelang ihr nur ein unverständliches Nuscheln.
»Halt endlich still, Schlampe! Oder wir erledigen dich gleich hier. Du bist für den Boss nämlich nicht wichtig.«
Sam hätte nicht gedacht, dass sie noch mehr Panik empfinden könnte als eben gerade, aber das bösartige Flüstern schaffte sie vollends. Sie musste Morgan irgendwie warnen, damit er nicht auch in diese Falle geriet. Aber wie sollte sie das machen? Der Mann würde sie bestimmt nicht loslassen, damit sie fliehen konnte, und schreien ging auch nicht. Verzweiflung packte sie, als der Arm ihres Gegners sich lockerte, nur um gleich darauf ihre Arme brutal nach hinten zu ziehen und mit einem rauen Seil zu fesseln. Da immer noch seine Hand auf ihrem Mund lag, musste sich noch eine zweite Person im Raum befinden. Wie sollte Sam gegen zwei kräftige Männer ankommen, vor allem wenn ihre Hände jetzt auf den Rücken gefesselt waren? Erneut biss sie kräftig zu und hörte einen unterdrückten Fluch. Die Hand löste sich von ihrem Mund. Sam holte tief Luft, um so laut zu schreien, wie es ging.
Aber bevor sie einen Ton herausbrachte, wurde ihr ein ekliges Stück Stoff in den Mund geschoben. Sam würgte, Tränen traten in ihre Augen. Atmen. Ruhig atmen und die Panik zurückdrängen, sonst würde sie ersticken. Mühsam holte sie durch die Nase Luft. Scheinbar eine Ewigkeit später hatte sie sich so weit im Griff, dass sie wieder ruhiger wurde und Luft bekam. Sie öffnete die Augen und blickte sich im Zimmer um. Noch vor wenigen Stunden war sie hier mit Morgan so glücklich gewesen, und jetzt war sie in einem Alptraum gefangen, aus dem sie sich nicht befreien konnte. Und, was fast noch schlimmer war, Morgan würde bald nach Hause kommen
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