Eine Unheilvolle Liebe
hatte. Ich blickte zu den beiden hoch, als läge ich auf dem Boden, sah aber nur ihre Silhouetten.
»Ich hätte eine Nachricht hinterlassen sollen. Meine Großmutter wird sich Sorgen machen.« Das war Lena. Sie stand direkt vor mir. Aber diesmal war es anders, nicht so wie in den Visionen, als es um das Medaillon und um Macons Tagebuch ging.
»Lena!« Ich rief ihren Namen, aber sie reagierte nicht.
Die andere Person trat nach vorn. Ich brauchte das Gesicht nicht zu sehen, um zu wissen, dass es John war.
»Wenn du eine Nachricht hinterlassen hättest, würden sie dich mit einem simplen Locator-Spruch aufspüren können. Für deine Großmutter mit ihren Wahnsinnskräften wäre das ein Klacks.« Er berührte sanft ihre Schulter. »Ich schätze, diese Kräfte liegen in der Familie.«
»Davon spüre ich aber nichts. Ich weiß überhaupt nicht, was ich denken soll.«
»Du hast es dir doch nicht etwa anders überlegt?« John griff in seine Tasche, zog einen Stift heraus und schrieb geistesabwesend etwas auf ihre Handfläche.
Lena schüttelte den Kopf und sah zu, wie er weiterkritzelte. »Nein. Ich gehöre nicht mehr hierher. Es wäre darauf hinausgelaufen, dass ich ihnen wehtue. Ich tue jedem weh, der mich liebt.«
»Lena …«, murmelte ich. Aber es war sinnlos. Sie konnte mich nicht hören.
»Wenn wir an die Weltenschranke kommen, wird alles anders sein«, versicherte ihr John. »Dort gibt es weder Licht noch Dunkel, weder Naturgeborene noch Kataklysten, nur Magie in ihrer reinsten Form. Keine Intoleranz, keine Vorurteile.«
John bemalte nun auch ihr Handgelenk, und Lena sah ihm dabei zu, ihre Köpfe berührten sich fast. Langsam drehte Lena ihre Hand in der seinen und ließ ihn weitermachen. »Ich habe Angst.«
»Ich werde es nicht zulassen, dass dir etwas geschieht.« Er strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr, so wie ich es immer gemacht hatte. Ob sie sich daran erinnerte?
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es diesen Ort tatsächlich gibt. Die Menschen haben mich mein Leben lang mit Vorurteilen überhäuft.« Lena lachte, aber ich hörte die Bitterkeit heraus.
»Deshalb gehen wir ja weg. Damit du endlich du selbst sein kannst.« Johns Schulter zuckte merkwürdig und er griff hastig danach. Im nächsten Moment hatte er sich schon wieder in der Gewalt. Lena war nichts aufgefallen, aber ich hatte es sehr wohl bemerkt.
»Ich selbst? Dazu müsste ich erst mal wissen, wer das überhaupt ist.« Lena ging ein paar Schritte von der Hauswand weg und blickte nachdenklich in die Nacht hinaus. Im Licht der Straßenlampe sah man ihr Profil klarer. Ihre Halskette glitzerte.
»Genau das möchte ich herausfinden.« John trat zu ihr. Er sprach so leise, dass ich ihn kaum verstand.
Lena sah müde aus, aber sie schenkte ihm ihr unnachahmliches schiefes Lächeln. »Ich werde sie dir vorstellen, sollte ich ihr mal begegnen.«
»Na, Leute, seid ihr bereit?« Ridley kam aus dem Haus und lutschte an einem kirschroten Lolli.
Lena drehte sich um, dabei fiel der Lichtstrahl auf ihre bemalte Hand. Es waren keine Buchstaben, sondern schwarze Muster. Die verschlungenen Linien waren mir schon auf dem Jahrmarkt an ihrer Hand aufgefallen und auch an den Rand ihres Notizblocks hatte sie diese Muster gekritzelt. Aber ehe ich sie genauer betrachten konnte, veränderte sich mein Blickwinkel erneut. Plötzlich war nur noch eine breite menschenleere Straße mit nassen Pflastersteinen vor mir. Und dann sah ich gar nichts mehr.
Ich weiß nicht, wie lange ich so dastand und mich am Waschbecken festhielt. Ich hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden, sobald ich losließ. Meine Hände zitterten und meine Beine versagten mir den Dienst. Was war das gerade gewesen? Keine Vision, so viel stand fest. Ich hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um die beiden zu berühren, so nah dran war ich gewesen. Aber warum hatte Lena mich nicht gehört?
Im Grunde genommen spielte es keine Rolle. Sie war weggelaufen, so wie sie es angekündigt hatte. Wohin, das hatte sie mir nicht verraten, aber ich hatte von dem unterirdischen Labyrinth genug gesehen, um zu wissen, dass sie dort war.
Sie hatte sich auf den Weg zur Weltenschranke gemacht, wo auch immer die sein mochte. Das ging mich alles nichts mehr an. Ich wollte nicht davon träumen, ich wollte davon nichts hören oder sehen.
Vergiss es. Geh wieder ins Bett und schlaf weiter, alles andere ist Quatsch.
Spring oder bleib im Boot!
Was für ein bescheuerter Traum. Als hätte ich es in der Hand,
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