Eine Unheilvolle Liebe
andern,
öffnet das Tor denen, die dazwischen wandern.«
Sie begann zu singen, laut und wie im Fieber, die geheimnisvollen Worte zerrissen die Stille der Nacht. Ihre Augen drehten sich nach oben, aber sie schloss die Lider nicht. Arelia begann ebenfalls zu singen, dazu schüttelte sie Fransenschnüre mit hineingeflochtenen Perlen.
Amma fasste mich am Kinn und sah mir fest in die Augen. »Ich weiß, es wird nicht einfach für dich, aber es gibt ein paar Dinge, die du wissen musst.«
Die Luft in dem Kreis wirbelte und brodelte, dann stieg ein dünner weißer Nebelschleier auf. Twyla, Arelia und Amma sangen weiter, ihre Stimmen schwollen zu einem Crescendo an. Der Nebel schien auf sie zu hören, er wirbelte schneller, wurde dichter und kräuselte sich empor wie ein Tornado, der Geschwindigkeit aufnimmt.
Ohne Vorwarnung und als wäre es ihr letzter Atemzug, schnappte Twyla keuchend nach Luft. Der Nebel schien einem stummen Befehl zu gehorchen und verschwand in ihrem Mund. Zuerst dachte ich, dass sie auf der Stelle sterben würde. Sie saß stocksteif da, wie festgebunden, ihre Augen waren noch immer nach oben verdreht, der Mund geöffnet.
Link brachte sich in Sicherheit, während Liv zu ihr lief, um zu helfen. Sie streckte die Hand nach Twyla aus, aber Amma hielt sie zurück. »Warte.«
Twyla stieß den Atem aus. Der weiße Nebel strömte über ihre Lippen und stieg in der Kreismitte auf. Stieg auf und nahm Gestalt an. Nackte Füße schauten unter weißer Kleidung hervor, Konturen formten sich, füllten sich, wie Luft einen Ballon füllte. Ein Schemen bildete sich aus dem Dunst. Ich sah, wie die Gestalt in die Höhe wuchs, sah ihren zarten Hals und schließlich das Gesicht. Es war …
Meine Mutter.
Das ätherische Leuchten, wie nur Schemen es besaßen, ging von ihr aus. Und trotzdem war sie unverkennbar meine Mutter. Ihre Lider flatterten, dann sah sie mich an. Der Schemen sah nicht nur aus wie meine Mutter, es war meine Mutter.
Als sie sprach, klang ihre Stimme so sanft und melodisch, wie ich sie in Erinnerung hatte. »Ethan, mein Schatz, ich habe auf dich gewartet.«
Sprachlos starrte ich sie an. In keinem meiner Träume seit ihrem Tod, auf keinem Foto, in keiner Erinnerung war sie mir so greifbar erschienen wie in diesem Moment.
»Es gibt so viel, was ich dir sagen muss, so viel, was ich nicht sagen kann. Ich habe versucht, dir den Weg zu weisen, indem ich dir die Lieder sandte …«
Also war sie es gewesen. Sie hatte mir die Lieder gesandt. Lieder, die nur Lena und ich hören konnten. Seventeen Moons. Der Shadowing Song . Als ich sprach, kam meine Stimme von sehr weit weg, so als wäre es nicht meine eigene. »Das warst du?«
Sie lächelte. »Ja. Du hast meine Hilfe gebraucht. Aber jetzt braucht er deine Hilfe und du brauchst ihn.«
»Wer? Sprichst du von Dad?« Dabei wusste ich nur zu gut, dass sie nicht meinen Vater meinte. Sie sprach von dem anderen Mann, der uns beiden so viel bedeutet hatte.
Von Macon.
Sie wusste ja nicht, dass er gestorben war.
»Sprichst du von Macon?«
Das Funkeln in ihren Augen verriet mir, dass ich recht hatte. Ich musste es ihr sagen. Wenn etwas mit Lena passiert wäre, dann würde ich es auch erfahren wollen. Selbst jetzt noch, wo nichts mehr so wie früher war. »Macon ist nicht mehr unter uns, Mom. Er ist vor ein paar Monaten gestorben. Er kann mir nicht mehr helfen.«
Ich betrachtete sie, wie sie im Mondlicht schimmerte. Sie war so schön wie damals, als ich sie zum letzten Mal lebend gesehen hatte. Sie hatte mich auf der verregneten Veranda noch schnell in den Arm genommen, bevor ich zur Schule gegangen war.
»Hör mir zu, Ethan. Er wird immer bei dir sein. Nur du allein kannst ihn erlösen.«
Ihre Umrisse begannen zu verblassen. Ich streckte die Hand nach ihr aus, ich sehnte mich danach, sie zu berühren, doch ich griff ins Leere. »Mom?«
»Der Mond der Berufung wurde heraufbeschworen.« Sie löste sich auf, verging in der Schwärze der Nacht. »Wenn das Dunkle den Sieg davonträgt, wird der Siebzehnte Mond zugleich der letzte sein.« Ich konnte sie kaum noch erkennen, der wirbelnde Dunst zog sich in sich selbst zurück. »Beeil dich, Ethan. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit, aber du kannst es schaffen. Ich glaube fest an dich.« Sie lächelte, und ich versuchte, mir ihren Gesichtsausdruck unauslöschlich einzuprägen, denn ich spürte, wie sie mir entglitt.
»Und wenn ich zu spät komme?«
Ich hörte ihre Stimme wie aus weiter Ferne. »Ich habe versucht, dich
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