Eine Unheilvolle Liebe
entriegelte die Tür.
Marian stand auf. »Ihr könnt ihr nicht folgen. Es ist zu gefährlich. Da unten tummeln sich Caster und andere Kreaturen, die unermessliche Kräfte haben. Ihr seid erst ein einziges Mal hier gewesen, und was ihr da gesehen habt, ist nur ein kleiner Teil, verglichen mit dem großen Tunnel-Labyrinth. Es ist eine Welt für sich.«
Ich brauchte von niemandem eine Erlaubnis. Vielleicht hatte mich meine Mutter tatsächlich hierhergeführt, aber sie war trotzdem nicht da. »Du kannst mich nicht daran hindern, Tante Marian, denn du darfst dich nicht einmischen, stimmt’s? Du kannst nichts anderes tun, als hier zu sitzen und zuzusehen, wie ich alles vermassle, und dann ein Buch darüber schreiben, damit jemand wie Liv später etwas daraus lernen kann.«
»Du weißt nicht, was du vorfindest. Wenn etwas passiert, dann kann ich nichts tun, um dir zu helfen.«
Das alles interessierte mich nicht. Marian hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da war ich auch schon an der Tür. Liv kam hinterhergerannt. »Ich gehe mit, Professor Ashcroft. Ich passe auf, damit den beiden nichts passiert.«
Marian eilte zu uns. »Olivia! Das ist nicht deine Aufgabe.«
»Ich weiß. Aber sie werden mich brauchen.«
»Du kannst das Unabänderliche nicht ändern. Du musst dich heraushalten, egal wie schmerzvoll es auch sein mag. Ein Hüter darf nur aufzeichnen und Zeugnis geben, er darf nicht eingreifen.«
»Du bist eine Art Pausenaufsicht«, sagte Link und grinste. »Oder ein Cop wie Fatty.«
Liv kniff die Augen zusammen. Anscheinend gab es in England auch Leute, die Jagd auf Schulschwänzer machten. »Sie müssen mir nicht erklären, wie die Ordnung der Dinge funktioniert, Professor Ashcroft. Das wusste ich schon als Schulmädchen. Aber wie soll ich etwas bezeugen, wenn ich es niemals sehen darf?«
»Du kannst in den Schriftrollen der Caster darüber nachlesen, so wie wir anderen auch.«
»Kann ich das wirklich? Kann ich über den Sechzehnten Mond nachlesen? Über die Berufung, die vielleicht den Fluch der Duchannes aufgehoben hat? Haben Sie schon irgendwo etwas darüber gelesen?« Liv warf einen Blick auf ihre Monduhr. »Hier geht etwas Sonderbares vor sich, das ist ganz eindeutig. Erst dieser fremde Junge mit seinen unvergleichlichen Fähigkeiten, dann Ethans Visionen – nicht zu vergessen die Unregelmäßigkeiten, die sich wissenschaftlich nachweisen lassen. Fast unmerkliche Veränderungen, die ich auf meinem Selenometer erkenne.«
Fast unmerklich – sprich, so gut wie nicht vorhanden. Ich durchschaute ihren Schwindel. Olivia Durand saß hier ebenso fest wie wir, und Link und ich waren ihr Fahrschein nach draußen. Sie machte sich keine Sorgen, dass wir in den Tunneln verloren gehen könnten, sondern sie wollte mehr als eine bloße Zuschauerin sein und am Leben teilnehmen. So wie vor nicht allzu langer Zeit ein anderes Mädchen, das ich kannte.
»Aber vergiss nicht, dass …«
Die Tür fiel ins Schloss, ehe Marian den Satz zu Ende gesprochen hatte. Und schon waren wir auf und davon.
Exil
15.6.
Liv rückte ihren abgewetzten Lederrucksack zurecht und Link schnappte sich eine Fackel aus dem Ständer an der Wand. Sie waren entschlossen, mit mir das Große Unbekannte zu erforschen, aber vorerst standen wir nur da und schauten uns an.
»Und?«, fragte Liv erwartungsvoll. »Das kann doch nicht so schwer sein, es geht hier ja nicht um einen Flug ins All. Entweder du kennst den Weg oder …«
»Psst. Lass ihm einen Moment Zeit.« Link legte seine Hand über Livs Mund. »Streng dich an, Skywalker. Möge die Macht mit dir sein.« Die Geschichte mit dem Lotsen hatte offenbar Eindruck gemacht. Die beiden dachten, ich wüsste genau, wo’s langgeht. Das Problem war nur: Ich wusste es nicht.
»Da entlang.« Ich würde mir unterwegs etwas einfallen lassen müssen.
Marian hatte von endlosen Tunneln gesprochen und von einer ganz eigenen unterirdischen Welt, aber erst jetzt verstand ich, was sie damit gemeint hatte. Als wir um die Ecke bogen, änderte sich der Gang, er wurde enger und feuchter und dunkler, runde Wände schlossen uns ein, sodass man sich wie in einer Röhre vorkam. Ungeschickt tastete ich mich an der Wand entlang, um den Weg zu finden, dabei fiel meine Fackel auf den Boden.
»Scheiße.« Ich hob die Fackel auf, nahm den Holzgriff zwischen die Zähne und wollte weitergehen.
»Verdammter Mist.« Link, der direkt hinter mir ging, fluchte laut, weil seine Fackel abgebrannt war.
Liv bildete das
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