Eine Unheilvolle Liebe
meinem Volvo, als hätte ich das Autoradio angestellt. Das gleiche Lied. Der gleiche Text. Seit zwei Monaten ging das jetzt schon so. Immer wenn ich iPod hörte, an die Decke starrte oder ein und dieselbe Seite im Silver Surfer las, ohne sie richtig wahrzunehmen.
Seventeen Moons . Da war es wieder. Ich drehte an den Knöpfen des Autoradios, aber es war zwecklos. Jetzt hörte ich das Lied in meinem Kopf statt aus den Lautsprechern, so als würde es mir jemand mit Kelting vorsingen.
Seventeen moons, seventeen years,
Eyes where Dark or Light appears,
Gold for yes and green for no,
Seventeen the last to know …
Dann war es vorbei. Mir war klar, dass ich den Song nicht einfach ignorieren konnte, aber ich wusste auch, wie Lena reagierte, wenn ich sie darauf ansprach.
»Es ist nur ein Lied«, sagte sie dann immer abschätzig. »Es hat nichts zu bedeuten.«
»Und was war mit Sixteen Moons ? Hatte das etwa auch nichts zu bedeuten? Der Song handelt von uns.« Es spielte keine Rolle, dass sie das selbst nur allzu gut wusste und mir vielleicht sogar recht gab. Immer wenn wir an dem Punkt waren, schaltete Lena von Verteidigung auf Angriff um, und unser Gespräch nahm eine andere Wendung.
»Damit willst du sagen, dass es um mich geht, stimmt’s? Ob ich Dunkel oder Licht werde. Ob ich genauso werde wie Sarafine. Wenn du von vorneherein weißt, dass ich eine Dunkle Caster werde, weshalb sagst du es dann nicht?«
Darauf erwiderte ich meistens irgendwas Albernes, um das Thema zu wechseln. Bis ich dazu überging, überhaupt nichts mehr zu sagen. Wir sprachen nicht mehr über das Lied, das in meinem Kopf und auch in ihrem spielte.
Seventeen Moons . Es gab kein Entkommen.
Es ging um Lena und die Berufung. Darum, ob sie für immer Dunkel oder Licht werden würde. Und das konnte nur eines heißen: Sie war nicht berufen. Noch nicht. Golden hieß Ja und grün hieß Nein. Ich wusste, worauf der Text anspielte – auf die goldenen Augen eines Dunklen Casters und die grünen Augen eines Lichten Casters. Seit der Nacht von Lenas sechzehntem Geburtstag, der Nacht ihres Sechzehnten Mondes, hatte ich mir einzureden versucht, dass jetzt alles vorbei sei, dass sich Lena nicht mehr zu entscheiden brauchte, dass sie eine Ausnahme war. Weshalb sollte es in ihrem Fall nicht so sein, wo doch so gut wie alles an ihr außergewöhnlich war?
Aber es war nicht so. Seventeen Moons war der Beweis dafür. Sixteen Moons hatte ich schon Monate vor Lenas Geburtstag gehört, der Song war ein unheimlicher Vorbote dessen gewesen, was kommen sollte. Der Text von Seventeen Moons enthielt eine neue geheimnisvolle Prophezeiung. Lena musste sich entscheiden, denn das hatte sie noch nicht getan. Die Songs logen nicht. Jedenfalls bisher nicht.
Ich musste mit diesen Grübeleien aufhören. Aber während ich die lange Auffahrt zum Tor von Ravenwood Manor hinauffuhr, schien sogar das Knirschen der Reifen auf dem Kiesweg die eine, unentrinnbare Wahrheit zu wiederholen. Wenn es einen Siebzehnten Mond gab, dann war alles umsonst gewesen. Dann war Macons Tod sinnlos gewesen.
Lena hatte die Entscheidung noch vor sich. Sie selbst musste bestimmen, ob sie eine Dunkle oder eine Lichte Caster werden wollte und damit ihr weiteres Schicksal besiegeln. Für Caster gab es keine Umkehr, sie konnten nicht die Seiten wechseln. Und wie auch immer sie sich schließlich entschied, die Hälfte ihrer Familie würde sterben müssen. Die Lichten oder die Dunklen Caster – der Fluch gestattete nur einer Seite zu überleben. In einer Familie, in der Generationen von Castern keinen freien Willen gehabt hatten und an ihrem sechzehnten Geburtstag für die Lichte oder für die Dunkle Seite bestimmt worden waren, ohne diese Entscheidung beeinflussen zu können – wie sollte da Lena ihre Wahl treffen?
Sie hatte sich ihr Leben lang nur eines gewünscht – selbst über sich entscheiden zu können. Jetzt konnte sie es und das war eine grausame Ironie des Schicksals.
Ich hielt vor der Einfahrt, stellte den Motor ab und schloss die Augen. Sofort kehrten die Erinnerungen zurück – die Panik, die Visionen, die Träume, das Lied. Aber diesmal war Macon nicht da, um den bösen Ausgang meiner Träume wegzustehlen. Niemand war mehr da, der uns aus dem heraushalf, was uns bald überrollen würde.
Zitronen und Asche
17.4.
Als ich vor Ravenwood anhielt, saß Lena schon auf der verfallenden Veranda und wartete. Sie hatte ein altes Herrenhemd an, Jeans und ihre abgewetzten Chucks. Einen
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