Eine Unheilvolle Liebe
Rückwärtsgang ein. Wir hatten es nur bis zum Parkplatz geschafft, aber sie musste kein Wort sagen; ich wusste, es war Zeit, Lena wieder nach Hause zu bringen. Während der ganzen Fahrt machte Boo die Augen nicht auf.
Wir nahmen eine alte Decke mit nach Greenbrier und kuschelten uns vor Genevieves Grab zusammen auf einem kleinen Flecken Gras neben der verwitterten Steinmauer. Auf allen Seiten umgaben uns die verkohlten Bäume und Wiesen, nur vereinzelt bahnte sich neues Grün den Weg durch den harten Boden. Aber dieses Fleckchen war immer noch unser Fleckchen, wo wir zum ersten Mal miteinander gesprochen hatten, nachdem Lena im Englischunterricht mit einem Blick – und ihren Caster-Kräften – die Fensterscheibe zum Bersten gebracht hatte. Tante Del konnte den Anblick des abgebrannten Friedhofs und des zerstörten Gartens nicht ertragen, doch Lena machte es nichts aus. Hier hatte sie Macon zum letzten Mal gesehen, deshalb war dieser Ort eine Zuflucht für sie. Irgendwie war es sogar beruhigend, die Verwüstung zu betrachten. Das Feuer hatte gewütet und alles vernichtet, was sich ihm in den Weg stellte, dann war es erloschen. Wenn man das doch auch von anderen Gewalten sagen könnte.
Das Gras war nass und ich wickelte die Decke enger um uns. »Komm näher, du frierst ja.«
Lena lächelte, ohne mich anzusehen. »Seit wann brauche ich einen Grund, um näher zu dir zu kommen?« Sie lehnte sich wieder an meine Schulter und wir saßen schweigend da und wärmten uns gegenseitig. Als sich unsere Finger ineinander verschränkten, durchzuckte es meinen Arm. So war es immer, wenn wir uns berührten – mich traf ein sanfter Stromschlag, der bei jeder weiteren Berührung stärker wurde. Eine schmerzliche Mahnung, dass Caster und Sterbliche nicht zusammen sein konnten. Jedenfalls nicht wenn der Sterbliche überleben wollte.
Ich starrte auf die verschlungenen schwarzen Äste, den fahlen Himmel, und ich dachte an den Tag, an dem ich Lena in den Garten gefolgt war, weil sie dort im hohen Gras kauerte und weinte. Wir hatten zugeschaut, wie die grauen Wolken am ansonsten strahlend blauen Himmel sich wieder verzogen, einfach weil Lena sie durch die Kraft ihrer Gedanken verschwinden lassen konnte. Der blaue Himmel – das war ich. Sie war Lena, der Hurrikan, und ich war der stinknormale Ethan Wate. Ich konnte mir mein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen.
»Schau mal.« Sie war über mich hinweggeklettert und hatte nach einem morschen schwarzen Ast gegriffen.
Eine prallgelbe Zitrone hing daran, die einzige in dem verwüsteten Garten. Schwarze Aschewölkchen flogen auf, als Lena sie pflückte. Die gelbe Schale leuchtete in ihrer Hand. »Schau dir das an. Nicht alles ist verbrannt.« Sie sank zurück in meine Arme.
»Alles wird wieder wachsen, L.«
»Ich weiß«, sagte sie, nicht sonderlich überzeugt. Gedankenverloren drehte sie die Zitrone in den Händen.
»Nächstes Jahr um diese Zeit ist hier nichts mehr schwarz und verkohlt.« Sie blickte zu den Ästen und dem Himmel über uns und ich küsste sie auf die Stirn, auf die Nase, auf das hübsche mondsichelförmige Muttermal auf ihrer Wange. »Alles wird grün sein. Sogar diese Bäume werden wieder grün sein.« Wir zogen die Schuhe aus, und als unsere nackten Füße sich berührten, spürte ich wieder das vertraute elektrisierende Kribbeln. Wir waren uns so nahe, dass mir ihre Locken ins Gesicht fielen. Ich blies sie weg.
Ich war völlig in Lenas Bann, gefangen von der unterschwelligen Spannung, die uns verband und uns gleichzeitig trennte. Ich beugte mich dicht zu ihr, um sie auf den Mund zu küssen, aber Lena hielt mir neckisch die Zitrone vor die Nase. »Riech mal.«
»Riecht wie du.« Wie Zitronen und Rosmarin, die seltsame Mischung, die mich schon bei unserer ersten Begegnung so fasziniert hatte.
Sie roch daran und verzog das Gesicht. »Sauer, so wie ich.«
»Du bist nicht sauer.« Ich zog sie in meine Arme. Asche und Gras hingen in unseren Haaren und irgendwann lag die Zitrone achtlos am Rand der Decke. Meine Haut brannte wie Feuer. In letzter Zeit hatte ich eine bittere Kälte verspürt, wenn ich Lenas Hand hielt, aber wenn wir uns küssten, richtig küssten, dann überflutete mich die Hitze. Ich liebte sie, liebte jede Faser an ihr, war bis in die Fingerspitzen entflammt. Wir küssten uns, bis mein Herz zu stolpern begann und sich mein Sehen und Fühlen und Hören allmählich in Dunkelheit verlor…
Lena schob mich weg, was zugegebenermaßen zu meinem
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