Eine Unheilvolle Liebe
sie sonst noch alles dachte.
Ich lasse dich in Frieden, damit du ungestört trauern kannst, liebste Lena Duchannes. Aber ich werde immer, ja immer, für dich da sein, wie die Bibel und meine Mutter es mich gelehrt haben .
Emily nickte Savannah betrübt zu und sie gingen würdevoll weiter. Ausgerechnet die beiden, die noch vor ein paar Monaten die Jackson Schutzengel gegründet hatten, eine Art Bürgerwehr der Jackson High, deren einziges Ziel es gewesen war, Lena von der Schule zu jagen. Aber das hier war in gewisser Weise sogar noch schlimmer.
Emory beeilte sich, die beiden einzuholen, aber als er uns sah, ging er gemessenen Schritts weiter und klopfte im Vorbeigehen auf die Kühlerhaube. Seit Monaten hatte er kein Wort mit mir geredet, aber jetzt wollte er mir seine Anteilnahme zeigen. Das alles war so beschissen.
»Sag nichts.« Lena war auf dem Beifahrersitz zusammengesunken.
»Nicht zu fassen. Nicht mal seine Mütze hat er abgenommen. Seine Mutter wird ihn windelweich prügeln, wenn er nach Hause kommt.« Ich stellte den Motor ab. »Steh das durch, dann nehmen sie dich am Ende noch bei den Cheerleadern auf, liebste Lena Duchannes .«
»Das … das sind solche …« Lena war so wütend, dass ich meine flapsigen Worte bereits bedauerte. Aber so würde es ja den ganzen Tag lang weitergehen, und ich wollte, dass sie sich darüber im Klaren war, ehe sie einen Fuß in die Schule setzte. Ich war lange genug der arme Ethan Wate, dessen Mutter erst letztes Jahr gestorben ist gewesen, um das nicht aus eigener Erfahrung zu wissen.
»Heuchler?«, schlug ich vor, was eine glatte Untertreibung war.
»Schafe.« Das waren sie zweifellos. »Ich will nicht zu ihnen gehören und ich will auch nicht mit ihnen am Tisch sitzen. Ich will nicht einmal, dass sie mich anschauen. Ich weiß, Ridley hat sie alle manipuliert, aber wenn sie nicht diese Party an meinem Geburtstag gegeben hätten – wenn ich in Ravenwood geblieben wäre, so wie Onkel Macon es wollte …« Sie musste den Satz nicht beenden. Ich wusste auch so, was sie sagen wollte: dann würde Macon jetzt noch leben.
»Das kannst du nicht mit Sicherheit sagen, L. Sarafine hätte einen anderen Weg zu dir gefunden.«
»Sie hassen mich und das ist auch richtig so.« Ihre Haare begannen, sich zu kräuseln, und ich rechnete damit, dass gleich ein Wolkenbruch über uns niederprasseln würde. Sie stützte den Kopf in die Hände und achtete nicht auf die Tränen, die auf ihren Schoß tropften. »Irgendetwas muss wie früher bleiben. Ich bin nicht so wie sie.«
»Ich sag’s ungern, aber du warst nie so wie sie und du wirst es auch nie sein.«
»Ich weiß. Trotzdem ist es jetzt anders. Alles ist anders.«
Ich sah aus dem Fenster. »Nicht alles.«
Boo Radley sah zu mir herüber. Er saß neben dem Volvo auf einer der verblassten weißen Linien, die die Parkbuchten markierten, als hätte er nur auf diesen Augenblick gewartet. Boo folgte Lena überallhin, wie es sich für einen guten Caster-Hund gehörte. Ich musste daran denken, wie oft ich ihn schon im Auto mitnehmen wollte, damit es für ihn ein bisschen schneller ginge. Ich machte die Fahrertür auf, aber Boo bewegte sich nicht vom Fleck.
»Dann eben nicht.« Ich wollte die Tür wieder zuschlagen, ich wusste ja, dass Boo niemals ins Auto kommen würde. Aber in diesem Augenblick sprang er über meinen Schoß und über den Schalthebel hinweg in Lenas Arme. Sie vergrub ihr Gesicht in seinem Fell und atmete tief ein, so als verströmte der räudige Hund eine andere Luft als der Rest der Welt.
Die beiden waren ein bebendes Knäuel aus schwarzem Haar und schwarzem Fell. In diesem Moment kam mir das gesamte Universum so zerbrechlich vor. Es schien auseinanderzufallen, wenn man nur einen falschen Atemzug tat oder am falschen Fädchen zog.
Ich wusste, was ich zu tun hatte. Ich konnte das Gefühl nicht beschreiben, aber es war genauso überwältigend wie die Träume, die ich gehabt hatte, als Lena und ich uns kennenlernten. Die Träume, die wir immer gemeinsam geträumt hatten und die so lebendig gewesen waren, dass danach Schmutz auf meiner Bettdecke lag oder eine Wasserpfütze auf dem Fußboden stand. Genau so war dieses Gefühl.
Ich wusste, an welchem Fädchen ich ziehen musste. Ich musste für Lena derjenige sein, der wusste, wo’s langgeht. In ihrer jetzigen Verfassung konnte sie keinen klaren Gedanken fassen, also musste ich es für sie tun.
Verloren. Das war sie. Aber genau das durfte ich nicht zulassen.
Ich legte den
Weitere Kostenlose Bücher