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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dafür brauchen wir zwei Wochen bei unseren miesen Werkzeugen. Gloria, wir können rechnen. Kommen wir jemals hier heraus, müssen wir essen. Alles Überlebenstraining ist Mist, wenn man in einem Gebiet steckt, das auf allen Landkarten weiß ist, Gloria!« Er sah auf sie hinunter. Sie lag auf dem Rücken und preßte die Hände flach vor ihr zuckendes Gesicht. »Wir … wir brauchen das Fleisch … In der Hölle gibt es keine Humanität. Gloria …«
    »Geh weg«, sagte sie. »Geh weg und laß mich allein! Nimm dein Fleisch und hau ab!«
    »Du weißt genau, daß das unmöglich ist. Zusammen oder gar nicht. Aber wenn du Maden essen kannst, Himmel noch mal, dann frage ich dich, warum kannst du nicht auch …«
    »Halt die Schnauze!« schrie sie hell. »Verschwinde! Mir wird übel, wenn ich dich höre!«
    Er ließ sie in Ruhe, ging ein paarmal um das Wrack, kletterte dann in den Rumpf und betrachtete Schwester Rudolpha.
    Er sah sie lange an und war froh, daß ihr Gesicht mit dem Lappen bedeckt war. Ein Körper ohne Gesicht ist bereits etwas Fernstehendes, dachte er. Nur das Gesicht macht letztlich einen Menschen. Die Augen. Ein Lächeln der Lippen. Das Gesicht als Spiegel der Seele. Ein Mensch ohne Kopf ist ein Körper, ist Fleisch.
    Er kletterte aus dem Wrack. Gloria lag noch immer auf dem Rücken und starrte in den von der Sonne durchglühten Himmel.
    Er stellte sich an die Flugzeugwand und schwieg.
    »Ich kann dir nicht dabei helfen«, sagte sie plötzlich. Ihre Stimme war seltsam nüchtern. »Das kannst du nicht verlangen.«
    »Es genügt, wenn du die Salzlake machst. Und die Stücke aufhängst. Wenn … wenn alles in Stücke geschnitten ist, sieht Fleisch wie Fleisch aus.« Er atmete tief durch und wünschte sich sehnsüchtig eine Zigarette. Aber die letzte hatte er vor drei Tagen geraucht, die letzte, die er aus den Taschen der Toten gesammelt hatte.
    »Wie ist es mit dem Braten?« fragte er dann. »Kannst du das?«
    »Ich will's versuchen. Wenn es nicht stinkt.«
    »Warum soll ein Mensch stinken?«
    »Ich weiß nicht …«
    Sie schwiegen wieder. Ihre Mägen rumorten vor Hunger, aber sie konnten nichts essen. Der Hunger war wie ein Schmerz, der sich durch den ganzen Körper bohrte, mit Widerhaken, die überall das Fleisch herausrissen.
    Fleisch –!
    »Fang jetzt nicht an«, sagte sie leise. »Bitte, warte bis zur Nacht. Fang damit an, wenn es dunkel ist. Bitte –«
    »Natürlich.« Er nickte, setzte sich neben sie, zog ihren Kopf an sich und küßte sie. Sie hielt still, obwohl es sie innen schüttelte, aber dann öffneten sich ihre Lippen, und zum erstenmal erwiderte sie seinen Kuß. Dann weinte sie hilflos wie ein kleines Kind, klammerte sich an ihn und war froh, daß er nichts sagte und sie nur streichelte.
    Die Nacht kam, viel zu schnell, denn beide wünschten sich, daß es ewig Tag bliebe, und mit der Nacht kam die Notwendigkeit, das Grauen zum Leben zu machen.
    »Jetzt?« fragte sie tonlos.
    »Ja, jetzt.« Peters erhob sich. »Mach die Salzlake fertig. Ich … ich bringe dir immer Portionen, die für einen Tag reichen …«
    Er schluckte krampfhaft, warf sich herum und ging zum Wrack. Gloria blickte ihm aus aufgerissenen Augen nach. Peters schwankte wie ein Betrunkener.
    »Ich mach es drinnen –«, sagte er am Einstieg. »Und wenn du mich kotzen hörst, kümmere dich nicht darum. Und denke auch an das Feuer für die Braten …«
    Sie nickte stumm, wartete, bis er im Flugzeugrumpf verschwunden war, und schaufelte dann mit beiden Händen Salz in den mit Regenwasser gefüllten, großen, selbstgetriebenen Blechtopf.
    In einem Baum kauernd sah ihr der schwarze Panther zu.

6
    Gegen Morgen war die schreckliche Arbeit beendet. Die mit Salzlauge durchtränkten Fleischstücke hingen an einem Draht, der von dem Flugzeugrumpf bis zum abgesprengten Leitwerk gezogen war. Auf einer Eisenstange brutzelten die letzten Braten über dem langsam verglimmenden Feuer.
    In den ganzen Stunden hatten sie kein Wort miteinander gesprochen. Peters brachte die Fleischstücke, denen man nicht mehr ansah, woher sie stammten, und Gloria pökelte und briet sie. Ihr Gesicht war wie versteinert, und was sie tat, verrichtete sie wie eine gutprogrammierte Maschine. Nur nicht denken, großer Gott, nur nicht denken! Wie greifbar nahe ist der Irrsinn, wenn man jetzt denkt …
    Später stand Peters am Feuer, starrte in die Flammen und atmete schwer. Die letzten Stunden schienen ihn innerlich zerstört zu haben. Sein jungenhaftes Gesicht war

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